Tim Höttges im Interview
Unser Alumnus Tim Höttges (Abschluss 1988) hat Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln studiert und arbeitete anschließend bis 1992 zunächst für die Unternehmensberatung Mummert + Partner (heute Sopra Steria Group SA). Bis 2000 war er dann für die VIAG AG unter anderem in den Unternehmensbereichen Beratung und Revision, im Controlling und in der Unternehmensplanung tätig, ehe er 2000 als Geschäftsführer für die Bereiche Finanzen und Controlling zur damaligen T-Mobile wechselte. 2002 wurde er Vorsitzender der Geschäftsführung der T-Mobile Deutschland GmbH, im Dezember 2006 wurde er dann zum Vorstandsmitglied für Breitband und Festnetz der T-Com berufen. Von 2009 bis Ende 2013 war Höttges Finanzvorstand der Deutschen Telekom AG und wurde Anfang 2014 als Nachfolger von René Obermann zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. Tim Höttges ist Mitglied der Aufsichtsräte der Mercedes-Benz AG, der Mercedes-Benz Group AG sowie der T-Mobile US. Im Alumni-Interview sprachen wir mit ihm über Neugierde und Offenheit als zentrale Pfeiler für Erfolg, den Wandel der Telekom von einer „mausgrauen Behörde“ zum fünftgrößten Telekommunikationsunternehmen weltweit und warum KI für ihn Chefsache ist.
Neugierde und Offenheit sind für mich zentrale Pfeiler für Erfolg.
Lieber Herr Höttges, unmittelbar nach Ihrem Studium an der WiSo sind Sie über weitere Stationen letztlich im Jahr 2000 zur Telekom gekommen und haben dort im Laufe der Jahre unterschiedliche Führungspositionen geprägt. Seit 2014 sind Sie nun Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG. Welche Fähigkeiten oder Denkweisen, die Sie während Ihres Studiums gelernt haben, sind heute noch Teil Ihres Führungsstils oder von Problemlösungsstrategien?
Mein Interesse für Wirtschaftspsychologie hat mich nach Köln gelockt. Damals begann die Zeit der großen US-Marken, die nach Europa kamen: Sie haben Konsum und Werbung umgekrempelt, das hat mich fasziniert. Vorgefunden habe ich vor allem Mathe. Die Kölner Uni war enorm mathematisch-analytisch, alles ließ sich in Formeln gießen und erklären. Das hat mich fürs Leben geprägt. Ich habe dort gelernt, bei Entscheidungen analytisch vorzugehen: Welche Argumente sprechen dafür, welche dagegen? Was ich in Köln dagegen nicht gelernt habe: 50 Prozent des Geschäfts sind Emotionen. Menschen brauchen ein gutes Bauchgefühl, damit sie mit Überzeugung etwas kaufen.
In mehr als zwei Jahrzehnten bei der Telekom haben Sie zahlreiche technologische Umbrüche miterlebt. Welche Kompetenzen müssen Manager und Führungskräfte heutzutage angesichts immer schnellerer Entwicklungen und digitaler Transformationen im Bereich Telekommunikation mitbringen?
Neugierde und Offenheit sind für mich zentrale Pfeiler für Erfolg. Das gilt im Umgang mit Menschen genauso wie im Umgang mit Technologie. Ich versuche immer, andere Menschen zu verstehen, ihre Motive und Denkweisen nachzuvollziehen, und ich freue mich, wenn ich dadurch etwas Neues lerne. Im Umgang mit neuer Technologie müssen wir uns von der gleichen Offenheit leiten lassen. Künstliche Intelligenz verändert alles, vor allem wie wir arbeiten. Ich sehe hier eine große Chance, trotz aller offenen Fragen. Die gleiche Offenheit erwarte ich auch von anderen.
Wir waren nicht nur ein nationaler Anbieter, wir waren eine mausgraue Behörde mit Faxen, Büroklammern, langen Fluren und Tristesse. Comedy-Shows im Fernsehen haben sich unzufriedenen Telekom-Kunden gewidmet.
Die Telekom hat sich seit ihren Anfängen zu einem internationalen Unternehmen gewandelt, ist neben Europa vor allem in Nordamerika präsent und hat sich unter Ihrer Führung zum fünftgrößten Telekommunikationsunternehmen weltweit entwickelt. Wie verändert sich die Identität eines Konzerns, wenn aus einem ehemals nationalen Anbieter ein globaler Akteur wird? Und wie schaffen Sie es, eine einheitliche Unternehmenskultur zu entwickeln und zu leben?
Wir waren nicht nur ein nationaler Anbieter, wir waren eine mausgraue Behörde mit Faxen, Büroklammern, langen Fluren und Tristesse. Comedy-Shows im Fernsehen haben sich unzufriedenen Telekom-Kunden gewidmet. Der Weg von dort zu einem Unternehmen mit 261 Millionen Mobilfunk-Kunden, 25 Millionen Festnetz-Anschlüssen und 22 Millionen Breitband-Verträgen in mehr als 50 Ländern war weit, steinig und lohnenswert. Wir haben uns immer wieder neu erfunden.
Wir waren bereit, unser Weltbild neu zu ordnen und unsere Kundinnen und Kunden radikal in den Mittelpunkt zu stellen. Kundenservice war die größte Innovation. In dieser Hinsicht gleichen wir uns. Sonst sind wir sehr durchmischt und divers – auch ein Faktor für Erfolg.
Sie haben bei der Telekom schon früh auf das Thema KI gesetzt. Mittlerweile hat Künstliche Intelligenz den Alltag von Menschen und Unternehmen erreicht und ist fast nicht mehr wegzudenken. Stichworte T AI, Magenta AI und Business-GPT: Welchen Einfluss hat Künstliche Intelligenz auf aktuelle Geschäftsmodelle der Telekom? Und wie gehen Sie innerhalb des Unternehmens mit dem Thema um?
Ich halte KI für die größte technologische Errungenschaft unserer Zeit und habe das Thema deshalb schon früh zur Chefsache erklärt. Wir verankern es in allen Geschäftsbereichen und schaffen damit echten Mehrwert, für Mitarbeitende genauso wie für Kundinnen und Kunden. Drei Beispiele: Unser neues KI Phone verlagert Apps in den Hintergrund und lässt sich vor allem über den KI-Assistenten steuern, per Sprachbefehl. Unser Servicebot Frag Magenta hat im vergangenen Jahr sieben Millionen Kundenanfragen bearbeitet und 56 Prozent im ersten Anlauf lösen können. Außerdem planen wir intensiv den Bau von AI-Gigafactorys, die enorme Rechenpower bringen und den Grundstein für die moderne Industrie von morgen legen werden.
Ich halte KI für die größte technologische Errungenschaft unserer Zeit und habe das Thema deshalb schon früh zur Chefsache erklärt.
Könnten Sie zum Abschluss den folgenden Satz vervollständigen: Denke ich an meine Studienzeit in Köln zurück, denke ich…
…an einen Satz von Professor Erwin Grochla, damals eine Institution: „Sie sind nicht hier, um Wissen anzuhäufen, sondern um Denken zu lernen.“
Und was würden Sie unseren Studierenden noch gerne mit auf den Weg geben? Haben Sie drei Tipps fürs Studium?
Bleib neugierig. Umgib dich mit Menschen, von denen du lernen kannst. Ein bisschen Glück braucht man auch – aber das reicht nicht. Deshalb mein dritter Rat: Sei bereit, Chancen wahrzunehmen und mach was draus!
Lieber Herr Höttges, ich bedanke mich für Ihre Zeit und für das Interview.
Die Fragen stellte Pascal Tambornino