Stefanie Kirwald im Interview
"„Connecting people for a common purpose“ ist meine Antriebsfeder"
Unsere Alumna Stefanie Kirwald (Abschlussjahrgang 1999, CEMS - Marketing) beschäftigt sich bei myAbility Social Enterprise GmbH mit Inklusion im Arbeitsleben. Das Sozialunternehmen operiert von Wien aus in der gesamten DACH-Region und darüber hinaus, berät und unterstützt Wirtschaftsunternehmen, und betreibt mit www.myAbility.jobs die größte inklusive Job-Plattform im deutschsprachigen Raum.
Ihre Herzensangelegenheit ist es, die Vision eines barrierefreien Umfelds mit fairen Job-Chancen für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten zu verwirklichen. Die Realität zeigt, dass 15% der Bevölkerung hierzulande tendenziell weniger Perspektiven und Aufstiegschancen am Arbeitsmarkt erhalten. Ein zu Unrecht ungenutztes Fachkräfte-Potenzial!
Wir sprachen mit Stefanie Kirwald über die Herausforderungen und Chancen, die Inklusion mit sich bringt, und was ihr eigener Lebensweg damit zu tun hat. Darüber hinaus gibt sie wertvolle Tipps an unsere Studierenden.
Aus etlichen Gesprächen mit Firmen-Vertreter:innen wissen wir, dass mit dem Begriff „Barrierefreiheit“ oftmals die Rampe für Rollstuhlnutzer:innen verbunden wird.
Liebe Frau Kirwald, Sie setzen sich für eine chancengerechte und barrierefreie Gesellschaft ein. Was sind die Herausforderungen auf dem Weg zu einer inklusiven Unternehmenskultur?
Aus etlichen Gesprächen mit Firmen-Vertreter:innen wissen wir, dass mit dem Begriff „Barrierefreiheit“ oftmals die Rampe für Rollstuhlnutzer:innen verbunden wird. Dabei sind ca. 70% aller Behinderungen oder chronischen Erkrankungen unsichtbar. Etliche entwickeln sich im Laufe des Lebens krankheitsbedingt, physisch wie psychisch, und eine Mobilitätseinschränkung ist nur eine mögliche Facette von so vielen. Wir regen tagtäglich dazu an, das Hauptaugenmerk nicht einzig und allein auf den medizinischen Hintergrund eines Menschen zu richten. Sondern vielmehr auf eine Person und ihren Erfahrungsschatz, ihre Ausbildung, ihre Stärken und Talente zu schauen. Will man allen Ernstes einfach so auf wertvolle Fachkräfte verzichten, nur weil man Jemandem aufgrund eines einzigen Attributs zu wenig zutraut, Berührungsängste hat oder nicht weiß, wie man einen Arbeitsplatz inklusiv gestalten kann?
Eine fehlende Rampe oder barrierefreie Toilette sollte hoch auf der „To Do“-Liste stehen, nicht aber als „Kick-Out-Kriterium“ dienen, um Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen gar nicht erst zu beschäftigen.
Eine fehlende Rampe oder barrierefreie Toilette sollte hoch auf der „To Do“-Liste stehen, nicht aber als „Kick-Out-Kriterium“ dienen, um Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen gar nicht erst zu beschäftigen. Für die eine Person ist vielleicht ein höhenverstellbarer Schreibtisch hilfreich, für die andere ein großer Bildschirm, auf dem man Kontrast und Schriftgrößen optimal für sich einstellen kann. Die eine Person nutzt eine Braille-Tastatur, die andere kommt vielleicht mit Assistenzhund zur Arbeit oder hat Gebärdensprach-Dolmetscher:innen dabei. Wieder andere profitieren am besten von einem individuellen Mix aus Home-Office und Präsenztagen, weitere nutzen bewusst mehrere kleine Pausen über den Tag verteilt. Die Barrierefreiheits-Bedürfnisse und die damit einhergehenden Möglichkeiten sind so einzigartig und vielfältig, genauso wie es alle Menschen an sich sind.
Wir bei myAbility vertreten das „Soziale Modell von Behinderung“: Eine Person HAT eine Behinderung oder chronische Erkrankung und WIRD im Alltag durch ihr Umfeld behindert. Ein Video der Aktion Mensch bringt es wunderbar auf den Punkt. Die skizzierten Umstände verursachen unnötige Barrieren und behindern damit die Menschen. Und genau darin liegt einer der Schlüssel zu einer gelungenen, inklusiven Unternehmenskultur. Er liegt nicht zuletzt an der Perspektive, die wir alle einnehmen, und auch an der Bereitschaft, Fachkräfte und deren Potential zu erkennen und darin zu investieren. Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen wissen selbst am allerbesten, welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten sie sich zutrauen, und was es braucht, um gut und produktiv arbeiten zu können. Also hören wir doch einfach mal aufmerksam zu und verabschieden uns von unseren „Schubladen im Kopf“ und unseren Vorurteilen! Die individuelle Anpassung eines Arbeitsplatzes wird von den Integrationsfachdiensten gefördert. Auch Umbauten und Entgelt-Zuschüsse sind förderbar. Aus unserer langjährigen Erfahrung kann ich jedenfalls versichern, auf Dauer profitieren alle von aufrichtig gelebter Inklusion im Berufsleben, Arbeitgeber:innen wie Arbeitnehmer:innen – betriebswirtschaftlich, volkswirtschaftlich, und nicht zuletzt menschlich.
Noch ist Inklusion in vielen Bereichen der Gesellschaft – in der Schule, beim Wohnen und im Beruf – nicht vollends angekommen. Wie kann man eine gelungene Inklusion umsetzen?
Wir müssten an sich schon im Kindesalter damit anfangen, in allen erdenklichen Lebenslagen mit Selbstverständlichkeit eine inklusive Haltung zu vermitteln und vorzuleben. Gelingt es uns, den Blick füreinander auf das zu richten, was geht? Schaffen wir es, die Talente jeder einzelnen Person zu sehen, anzuerkennen und optimal zur Entfaltung zu bringen? Sind wir gemeinsam bereit, individuelle Bedürfnisse zu respektieren und den Rahmen jeweils so zu stecken, dass sich Menschen im Alltag und in der Freizeit, in Schule und Beruf optimal verwirklichen und möglichst barrierefrei weiterentwickeln können?
Wir sind alle nur Menschen, haben vielleicht Scheu vor etwas, mit dem wir nicht vertraut sind. Haben Furcht, Fehler zu begehen. Dies an sich ist aber vollkommen OK, so lange wir offen und einander zugewandt sind, neugierig und lernbereit. Erst dann wird niemand mehr die Befürchtung haben, sich aus Angst vor Diskriminierung oder Zurückweisung mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung verstellen oder gar verstecken zu müssen. Barrierefreiheit und Inklusion sind ein fortlaufender Prozess, und jeder aufrichtig gesetzte Schritt ist ein wertvoller in die richtige Richtung! Etliche Firmen könnten sich bereits heute die Zahlung einer Ausgleichsabgabe sparen, wenn alle ihre Mitarbeiter:innen das Vertrauen hätten, ihren medizinischen Hintergrund offen zur Sprache zu bringen, ohne Nachteile zu befürchten.
Auch ich kenne natürlich diese Momente der Scheu und der „Schere im Kopf“. Meine eigene Unsicherheit, meine Unwissenheit spreche ich inzwischen aber an, auch wenn es mir vielleicht schwerfällt oder unangenehm ist. Ich bitte mein Gegenüber um ein Feedback, um die Möglichkeit, dazuzulernen. Schließlich ist sie oder er Expert:in in eigener Sache. Wir müssen alle miteinander lernen, vertrauensvoll und aufgeschlossen das persönliche Gespräch zu suchen. Gelingt dies, tut sich stets eine Welt auf an neuen Eindrücken, an Lösungswegen und einzigartigen Kompetenzen.
Ich habe erkannt, „connecting people for a common purpose“ ist meine Antriebsfeder, und dies habe ich in meinen beruflichen Stationen zum Ausdruck gebracht.
Welche Erfahrungen haben Sie besonders geprägt, persönlich und auch beruflich?
Immens geprägt haben mich gesundheitliche Herausforderungen, sowohl in meiner Familie als auch bei mir selbst.
Ein gutes Jahr vor meinem Abitur erkrankte meine Mutter so schwer, dass sie der Pflege bedurfte. Während meiner Oberstufen- und Studienzeit war ich somit „Young Carer“ und persönliche Assistentin, bin deshalb nicht umgezogen und blieb bei meinen Eltern wohnen. Aus Rheinland-Pfalz stammend, hatte ich meinen Studienplatz an der Universität zu Köln trotz ausreichendem Notenschnitt nur über einen Härtefall-Antrag wegen meiner Mutter erhalten. Tagtäglich saß ich also im Zug zwischen Remagen und Köln-Süd, und habe zum Teil in Wartezimmern für Prüfungen gelernt, während sie in Behandlung war. Was mich tief beeindruckt hat, war ihre Fähigkeit, das anzunehmen, was nicht zu ändern ist. Und gleichzeitig mit immenser Kraftanstrengung an den Dingen zu arbeiten, die sie für sich noch positiv beeinflussen konnte. In anderen Momenten war ich sehr entsetzt, dass manche Menschen sie nicht für voll nahmen, über ihren Kopf hinweg mit uns als Angehörigen redeten. Sie gar wegschubsten, weil sie ihnen zu langsam war, als sie wieder mit Rollator gehen konnte oder für längere Strecken ihren Rollstuhl nutzte. Dann war ich fassungslos und wütend über diese offensichtliche Diskriminierung. Wenn es mir schon so ging, wie muss sie sich dann gefühlt haben? Damals jedenfalls hatte ich keine passende Antwort darauf, heute habe ich sie.
Selbst weiß ich, seit ich Anfang 30 bin, von meiner chronischen Diagnose Morbus Crohn. Der Mann eines meiner Studienfreunde ist Hausarzt, und mit seiner Unterstützung habe ich einst in Hamburg herausgefunden, was die Ursache gewisser Beschwerden seit meinen beruflichen Anfängen war. Meine damaligen Kolleg:innen waren nach dieser Diagnose zum Glück aufgeschlossen. Wir kannten einander seit Jahren, sie haben mich unterstützt, meine Leistungsbereitschaft und -fähigkeit nie in Frage gestellt.
Dann starb meine Mutter im September 2005, mitten in den Vorbereitungen für einen ersten Expat-Aufenthalt in den Niederlanden. Die nächsten anderthalb Jahre waren extrem hart. Ich wollte dort nur gut ankommen, die Sprache erlernen, irgendwann auch beruflich wieder einsteigen. Doch es ging mir direkt nach unserem Umzug Anfang 2006 gesundheitlich so schlecht, dass ich nicht wusste, ob ich jemals wieder ein normales Familienleben, geschweige denn einen Arbeitsalltag haben würde. Kaum angekommen, landete ich für Monate in einer Klinik. Das Fußball-Sommermärchen in Deutschland habe von einem Krankenhaus vor den Toren Rotterdams aus verfolgt. Letztlich wurde mir bei einer Operation ein Teil meines Darms entfernt. Damals war ich nur noch Haut und Knochen, aber dieser Eingriff war für mich der Wendepunkt. Ich wurde medikamentös gut eingestellt, kam nach dem Klinik-Aufenthalt langsam wieder zu Kräften, hatte meine regelmäßigen Kontrolltermine, und bin seitdem weitestgehend in langanhaltender Remission.
Im Krankenhaus hatte ich reichlich Zeit, über mich, mein Leben, meine Prioritäten nachzudenken. Wenn kaum noch was geht, kaum noch etwas bleibt, ist man immens auf sich selbst zurückgeworfen. Das war konfrontierend und schmerzhaft, aber rückblickend für mich eine der kostbarsten Phasen in meinem Leben. In dieser Zeit ist es mir irgendwann gelungen, meinen Crohn als essentiellen Teil meiner Selbst anzunehmen, mit ihm Freundschaft zu schließen. Er ist mir ein wertvolles Frühwarn-System, was mein Wohlbefinden anbelangt. Ach ja, und seit dieser Zeit spreche ich fließend Niederländisch!
Beim ersten Job nach meiner Krise hatte ich mich im Bewerbungsgespräch auf die Frage nach der „Lücke im Lebenslauf“ noch nicht getraut zu erwähnen, dass ich schwer erkrankt war, ich befürchtete, „aussortiert“ und „abgestempelt“ zu werden.
Welche Auswirkungen hatten diese Erfahrungen auf Ihr weiteres Leben, und wie blicken Sie in Ihre Zukunft?
Durch die Zeit in der Klinik bin ich mir auch meiner ureigensten Talente und Leidenschaften bewusst geworden und habe den einst eingeschlagenen Karriereweg letzten Endes verlassen.
Meine ersten Berufsjahre hatte ich zunächst bei einem Konsumgüter-Hersteller verbracht, später dann bei einer Marketing-Servicegesellschaft für Branchenverzeichnis-Verlage, bis wir in die Niederlande umgezogen sind. Ich möchte diese ersten Jahre nicht missen, so viel an wertvollem Marketing- und Vertriebs-Handwerkszeug aus unterschiedlichen Branchen habe ich kennengelernt, davon zehre ich heute noch.
Ich habe aber erkannt, „connecting people for a common purpose“ ist meine Antriebsfeder, und dies habe ich mehr und mehr in meinen beruflichen Stationen zum Ausdruck gebracht.
Beim ersten Job nach meiner Krise hatte ich mich im Bewerbungsgespräch auf die Frage nach meiner „Lücke im Lebenslauf“ allerdings noch nicht getraut zu erwähnen, dass ich schwer erkrankt war, weil ich befürchtete, „aussortiert“ und „abgestempelt“ zu werden. Ich war ja nicht dazu verpflichtet, „mich zu outen“, zudem war mein Crohn kein Hinderungsgrund zur Ausübung der Stelle als Marketing Consultant bei einer Stiftung für Stadtentwicklung. Ich hatte die Probezeit gerade gut hinter mir, da musste ich erneut ins Krankenhaus. Ein Abszess musste operativ entfernt werden. Ich kam nach kurzer Zeit zurück mit einer Vakuumpumpe am Körper, als Hilfsmittel zur Wundheilung. Wochenlang habe ich diese Tag und Nacht getragen, sie hat mich in keinster Weise behindert, im Gegenteil. Kaum war diese Pumpe weg, wurde mein Arbeitsvertrag vorzeitig nicht verlängert. Ich war so bis ins Mark erschüttert, dass ich mir ab diesem Zeitpunkt geschworen habe, meinen medizinischen Hintergrund in Bewerbungsgesprächen stets zu offenbaren. Dies, in Kombination mit meinem Bewusstsein für mein Talent und meine Passion, hat dazu beigetragen, dass ich seitdem stets Menschen, Firmen und Organisationen begegnet bin, die sich in erster Linie für mich, meinen Erfahrungsschatz und meine Fähigkeiten interessiert haben, und die mir stets mit großer Selbstverständlichkeit den Freiraum für meine gesundheitliche Belange eingeräumt haben, den ich benötige.
So war ich zunächst als Marketing Manager Alumni verantwortlich für das internationale Ingenieurs-Netzwerk der TU Delft. Hier ging es darum, Vertreter:innen aus Wissenschaft und Praxis für gesellschaftlich relevante, auf neuen Technologien beruhenden Innovationen systematisch miteinander zu verknüpfen.
Später dann war ich Legacy Fundraising Consultant bei einer Beratungsagentur, die ich gemeinsam mit einem Niederländer in Berlin aufgebaut hatte. Hier habe ich NPOs dabei beraten, potentielle Testamentspender:innen zu identifizieren, mit ihnen in Kontakt zu kommen, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Die Gespräche mit meiner Mutter zu ihrem Lebensende und ihrem „Letzten Willen“ waren mir dabei ein wertvolles Fundament.
Danach habe ich mit meiner Familie – mein Mann und ich waren inzwischen Eltern zweier Kinder – in England gewohnt und war dort ehrenamtlich in einem Hospiz aktiv.
Seit sechs Jahren wohnen wir nun in Wien und haben das Expat-Dasein hinter uns gelassen. Seit dreieinhalb Jahren bin ich für myAbility tätig, wo ich mich derzeit dem „Inclusion Network Development“, hauptsächlich in meinem Herkunftsland Deutschland, widme. Meine Lebensgeschichte, mein berufliches Handwerkszeug, alle meine Eindrücke aus verschiedenen Ländern Europas und die vielen Begegnungen mit wunderbaren Menschen fließen heute in meine Arbeit ein. Auf Basis meiner Erfahrungen kann ich „da draußen“ zum Thema „Inklusion im Arbeitsleben“ etwas bewirken, zum Perspektivwechsel anregen, Job-Chancen für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen initiieren. Und das empfinde ich als großes Geschenk!
Ich bin Teil des Teams rund um unser myAbility Talent® Programm. Hier bieten wir im gesamten deutschsprachigen Raum Studierenden, Absolvent:innen und auch berufserfahrenen Akademiker:innen die Möglichkeit, kostenlos von Karriere-Coachings und Workshops zu profitieren, und sich auf vielfältige Weise mit Unternehmen zu vernetzen, die eine Inklusionsstrategie verfolgen. Firmen, die Nachwuchs- und Fachkräfte kennenlernen möchten, und dabei bewusst Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen willkommen heißen. Oftmals eröffnen sich den Teilnehmer:innen durch unser Programm konkrete berufliche Perspektiven, und wann immer wir davon erfahren, ist das für uns ein Moment zum Feiern! Ab Oktober 2022 nehmen wir Bewerbungen entgegen für das deutschlandweite Programm, welches im ersten Quartal 2023 stattfindet. Schauen Sie es sich doch einmal an und melden Sie sich, wir freuen uns!
Meiner Zukunft schaue ich als waschechte Rheinländerin gerne mit dem „Rheinischen Grundgesetz“ entgegen, und ein Artikel daraus lautet „Et hätt noch emmer joot jejange!“ („Es ist bislang noch immer gut gegangen!“) Da plant man sein Leben und es wirft dir Herausforderungen vor die Füße. Doch komme, was wolle: Ich habe in der Hand, was ich daraus mache! Und wenn ich dabei auf meinem Weg nicht alleine bin und offensichtlich auf den Rückhalt vertrauter, lieber Menschen zählen kann, gerade wenn’s hart auf hart kommt, wie wunderbar ist das?! Ich bin meiner Familie, Freund:innen, auch Nachbar:innen und Kolleg:innen tief dankbar dafür, wie sie insbesondere in Krisenzeiten hinter mir gestanden sind. Und was das Älterwerden betrifft: Ich freue mich sehr darüber, denn die Schatzkiste an Eindrücken, Erfahrungen und tollen Begegnungen wächst und wächst!
Wie halten Sie sich selber fachlich auf dem aktuellen Stand? Welche Quellen würden Sie unseren Lesern empfehlen?
Es gibt wirklich unzählige interessante Beiträge, Erfolgsgeschichten, Veranstaltungen, Blogs, Podcasts oder Social Media Kanäle, Infoquellen und Beratungsstellen rundum „Inklusion im Arbeitsleben“. Ich möchte hier nur ein paar mit auf den Weg geben:
- REHADAT: Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e.V., mit 14 Portalen, zahlreichen Publikationen, Apps und Seminaren. Zentrales, unabhängiges Informationsangebot zur beruflichen Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen für Betroffene und alle, die sich für ihre berufliche Teilhabe einsetzen.
- JOBinklusive der Sozialhelden e.V.: Langzeit-Projekt zur Einbindung von Menschen mit Behinderung, Arbeitgeber*innen, Bildungseinrichtungen, Arbeitsvermittler*innen, Politik und Wohlfahrtsverbände für mehr Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt. U.a. Beiträge und Publikationen (Leitfaden für eine inklusive Arbeitswelt), Portraits von Rollen-Modellen, breite Öffentlichkeitsarbeit u.v.m.
- Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber EEA der Integrations- bzw. Inklusionsämter: Bundesweite Beratungsstellen für Unternehmen, die Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen möchten.
- Aktion Mensch: Chancen für Unternehmen durch Inklusion – Infos, Tipps & Anlaufstellen. U.a. mit Material zum Download, und Best Practices zu 10 guten Gründen, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen.
- Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB®): Diese Stellen unterstützen und beraten Menschen mit Behinderungen, von Behinderung bedrohte Personen, sowie deren Angehörige unentgeltlich und bundesweit zu Fragen der Rehabilitation und Teilhabe, auch im Arbeitsleben.
- Sag‘ ich’s – Chronisch krank im Job: Die Webseite wurde mit und für Arbeitnehmer:innen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Rahmen eines Projekts der Universität zu Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Mathilde Niehaus und Dr. Jana Bauer entwickelt. Mittels eines Selbst-Tests unterstützt sie dabei, einen für sich passenden Umgang mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung am Arbeitsplatz zu finden.
- myAbility Job-Plattform: Unternehmen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum mit einer Inklusionsstrategie, die einen barrierefreien Arbeitsplatz mitgestalten wollen, können hierüber qualifizierte Fachkräfte rekrutieren. Und Fachkräfte auf Jobsuche finden dementsprechend Stellen bei interessanten, gesprächsoffenen Firmen und Organisationen.
Inwiefern hat das Thema „Netzwerken“ schon während Ihres Studiums eine Rolle gespielt?
Ich bin immer schon gerne auf Menschen zugegangen, bin aufgeschlossen für neue Begegnungen, neugierig auf Lebensgeschichten, andere kulturelle Gepflogenheiten. Mich interessiert, was Menschen antreibt und habe immer schon Personen zusammengebracht, um inhaltlichen Austausch anzuregen, neue Verbindungen, Perspektiven, Kooperationen zu ermöglichen. Mir war nur bis zu meiner gesundheitlichen Krise einfach nicht bewusst, dass dies meine Antriebsfeder, meine ganz besondere Gabe ist.
Während des Studiums war ich u.a. eine Zeitlang bei MTP e. V. aktiv, habe dort Workshops und Seminare bei Unternehmen akquiriert und koordiniert, war bei der Durchführung einer nationalen Geschäftsstellen-Versammlung, die Ende der Neunziger in Köln stattfand, involviert. Weiters habe ich nach meinem CEMS-Auslandssemester an der Erasmus Universiteit Rotterdam in den Niederlanden als studentische Hilfskraft im damaligen CEMS-Büro gearbeitet. Dort habe ich ebenfalls Veranstaltungen organisiert, Bewerber:innen für das Programm sowie Austauschstudent:innen beraten, Exkursionen begleitet. Zuguterletzt bin ich seit meinem Abitur diejenige, die alle fünf Jahre ein Klassentreffen initiiert. Nächsten Sommer haben wir unser 30jähriges und es klopfen bereits Klassenkamerad:innen bei mir an und fragen, was wir machen und wie sie unterstützen können.
Meine Schwerpunkte waren Marktforschung und Marketing, Handel und Distribution sowie Wirtschafts- und Sozialgeographie. Das Rüstzeug der ersten beiden Fächer war für mich das Sprungbrett in die Konsumgüterbranche.
Welches sind die für Ihren heutigen Beruf wichtigsten Inhalte oder Erkenntnisse aus Ihrem Studium?
Meine Schwerpunkte waren seinerzeit Marktforschung und Marketing, Handel und Distribution sowie Wirtschafts- und Sozialgeographie. Das Rüstzeug der ersten beiden Fächer war für mich das Sprungbrett in die Konsumgüterbranche. Gerade das Wissen „um zwei Seiten derselben Medaille“ aus Produzenten- wie Retailer-Sicht empfand ich als ungemein wertvoll. Noch heute gehe ich mit einem scannenden Blick durch Supermärkte, schaue mir Preise, Regalplatzierung, Zutatenlisten und Verpackungsgestaltung, Promotions genau an, weil mir bewusst ist, wie viele Hände und Köpfe, wie viele Schritte nötig sind, um ausgehend von den Rohwaren ein Produkt in den Einkaufskorb legen zu können. Da steckt eine hoch komplexe Wertschöpfungskette dahinter und ich bin der Ansicht, dass alle, die dazu beitragen, ihr faires Einkommen haben sollten.
Und auch wenn die kommunikativen Möglichkeiten heute weitaus breiter gestreut sind als damals während meines Studiums: Auf dem Fundament von damals bewege ich mich noch heute. Dreh- und Angelpunkt im Marketing ist für mich stets die Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Das bedeutet, dass ich meine Kunden gut kenne und mit meinem Angebot optimal auf ihre Bedürfnisse eingehe, denn nur dann ist mein Angebot für sie von Relevanz. Womit ich wieder beim Anfang bin: Geht es um „Inklusion im Arbeitsleben“, dann stelle ich Fachkräfte und ihre Expertise in den Mittelpunkt meiner Betrachtung und höre aufrichtig zu, was ihre jeweiligen Barrierefreiheits-Bedürfnisse anbelangt! Nur so kann ich sie als Arbeitgeber:in für mich gewinnen, aufrichtig weiterentwickeln und damit auch langfristig halten.
Bitte ergänzen Sie: „Denke ich an meine Studienzeit in Köln zurück, denke ich an …"
Zusammenhalt, tolle Menschen, gemeinsame harte Arbeit und viel Lachen!
Da ich nicht in Köln wohnte, hatte ich nicht das „klassische Studentenleben“. Mein engster Studien-Freundeskreis wusste ja, warum. Größtenteils hatten sie bei Besuchen daheim meine Eltern kennengelernt. Gab es ein gemeinsames Event zu organisieren, oder wollte ich einfach mal mitfeiern, ich konnte stets irgendwo logieren und zu Hause wusste man, bei wem ich bin, schließlich kannten wir alle einander. Wir haben gemeinsam „gehackelt“, wie man in Österreich sagt, miteinander gelernt, Tränen gelacht, Erfolge gefeiert. Aber auch Sorgen geteilt, miteinander geweint und getrauert. Ich danke Euch da draußen sehr für Euren Support in diesen Studienjahren! Die, die mich von damals kennen, werden wissen, dass sie mit diesen Zeilen gemeint sind. Ich denke an Euch!
Diverse Teams sind eine Schatzkiste, lasst uns diesen Schatz gemeinsam heben!
Was würden Sie unseren Studierenden gerne mit auf den Weg geben? Was sind Ihre drei Tipps?
1) Hört sehr bewusst in Euch hinein und erkennt, was Euch antreibt. Die Antwort darauf mag abstrakt sein, aber sie hilft dabei, Eure Herzensthemen und ein für Euch passendes Arbeitsumfeld zu erschließen. Versucht, Euch nicht in eine Funktion oder Rolle hineinzuzwängen, die Euch nicht liegt, Euch nicht erfüllt, nicht Euren Wertevorstellungen entspricht.
2) Seid offen und aufgeschlossen anderen Menschen gegenüber, erst recht, wenn sie einen Euch unbekannten Hintergrund mitbringen. Wir alle haben unsere Stereotype, sind irgendwo „unconsciously biased“. Damit verbauen wir uns aber den Blick auf einzigartiges, menschliches Potential. Öffnet Euch, schafft einen vertrauensvollen Rahmen, hört Eurem Gegenüber zu, lernt voneinander. Traut Euch, Unsicherheiten zuzugeben und Fehler zu machen, denn Fehler sind Helfer!
3) Begegnet Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen nicht mit Mitleid und auch nicht mit Glorifizierung. Sondern einfach auf Augenhöhe in dem Bewusstsein, Expert:innen in eigener Sache vor Euch zu haben, mit einem einzigartigen Erfahrungsschatz, mit Fachkenntnis, mit einem besonderen Ausmaß an Resilienz und Lösungsorientierung. Wenn uns allen dies gelingt, dann wird „Inklusion im Arbeitsleben“ eines Tages nicht mehr als „Goodwill“ angesehen, sondern als selbstverständlicher Standard. Diverse Teams sind eine Schatzkiste, lasst uns diesen Schatz gemeinsam heben!
Vielen Dank für das Interview!