Professor Karl Kaiser im Interview
„Brexit war ein Sieg des selbstzerstörerischen Populismus“
Unser Alumnus Professor Dr. Karl Kaiser (Dipl.-Kaufmann, Abschlussjahrgang 1958) verfügt über eine beeindruckende internationale Karriere. Nach seinem Studium an der WiSo-Fakultät besuchte er das Graduiertenkolleg von Grenoble und Oxford. Zeitgleich promovierte er an der WiSo-Fakultät der Universität zu Köln und veröffentlichte 1963 seine Dissertation zum Thema "EWG und Freihandelszone. England und der Kontinent in der europäischen Integration". Anschließend folgte er der Einladung von Henry Kissinger nach Harvard.
Ausgezeichnete Karrierestationen schlossen sich in den Folgejahren an: Karl Kaiser war außenpolitischer Berater von Willy Brandt, Helmut Schmidt und dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Er lehrte und forschte in Bologna, Bonn, Köln, Saarbrücken, Jerusalem und Florenz, er hatte diverse Gastprofessuren inne, erhielt exzellente wissenschaftliche Auszeichnungen und ist seit 2003 wieder an der Elite-Universität Harvard tätig.
Wir sprachen mit ihm über die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen USA und Deutschland, über den Brexit und über seine Zeit als Postdoc von Henry Kissinger. Darüber hinaus gibt er auch wertvolle Lese-Tipps.
Lieber Herr Professor Kaiser, Henry Kissinger lud Sie 1963 nach Harvard in sein Team ein. Wie kam es dazu? Und was haben Sie von Henry Kissinger, der damals nationaler Sicherheitsberater der USA und später US-Außenminister war, gelernt?
Henry Kissinger, damals Professor im Government Department von Harvard, suchte 1963 einen Mitarbeiter, der ihm bei der Organisation einer internationalen Arbeitsgruppe helfen würde, die einen Bericht oder ein Buch über die damalige Bundesrepublik erstellen sollte. Richard Neustadt, ein Harvard Kollege, der mich im Oxforder College kennengelernt hatte, empfahl mich für die Tätigkeit.
Von Kissinger habe ich mehr gelernt als hier darstellbar ist. Bei der Analyse internationaler Politik bleibt er mir ein Vorbild: Probleme immer in ihrem größeren historischen Kontext sehen und zu versuchen, ihre Komplexität -Politik ist immer komplex- zu durchbrechen mit der Frage nach dem Kern und diesen so knapp wie möglich, möglichst in einem Satz, zu identifizieren.
Wie werden sich, aus Ihrer Sicht, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen USA und Deutschland - so kurz nach den US-Wahlen - entwickeln?
Wir werden eine Rückkehr zu Kooperation erleben, aber mit größeren Bürden für Deutschland, das seine bequeme Abhängigkeitseinstellung und „free rider“ Mentalität ablegen muss. Denn jetzt muss es als Führungsmacht der EU die Kooperation gestalten helfen und hierfür auch Opfer bringen, darunter mit Transfers für die hilfebedürftigen Mitglieder.
Ich bin überzeugt, dass Großbritannien in einigen Jahren den Weg zurück in die EU suchen wird.
Was denken Sie über den „Brexit“? Wie wird sich der Brexit, langfristig, auf die Europäische, sogar auf die Weltwirtschaft und -politik auswirken?
Brexit war ein Sieg des selbstzerstörerischen Populismus und hat Europa geschwächt. EU und Großbritannien haben keine andere Wahl, als das Beste daraus zu machen, um den Schaden zu minimieren und um den Herausforderungen der internationalen Politik zu begegnen. Ich bin überzeugt, dass Großbritannien in einigen Jahren den Weg zurück in die EU suchen wird.
Sie haben viele anspruchsvolle Aufgaben verantwortet und viele interessante Begegnungen/Situationen erlebt. Würden Sie uns Ihr unvergesslichstes Erlebnis erzählen?
Deren gibt es viele. Mir unvergesslich ein Ereignis im Verhältnis mit Polen.
Bundeskanzler Helmut Schmidt, der ein gutes Arbeitsverhältnis mit seinem polnischen Kollegen Edward Gierek hatte, bat mich, zugleich in dessen Namen ein deutsch-polnisches Forum einzurichten, in dem Vertreter von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft regelmäßig einen Meinungsaustausch pflegen würden, um damit die damals sehr belasteten Beziehungen zu verbessern. Neben den Unterschieden in den politischen Regimen und der Mitgliedschaft in entgegengesetzten Bündnissen war es vor allem die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze bzw. der Gebietsabtretung an Polen, wo die CDU/CSU Opposition sich der Politik der Anerkennung der sozialliberalen Koalition entgegenstellte.
Das zweite Forum sollte in Allenstein/Olstyn, also ausgerechnet im ehemaligen deutschen Ostpreußen stattfinden. Die CDU/CSU-Fraktion stimmte der Entsendung ihrer Vertreter nur unter der Bedingung zu, dass bei der Abreise eine knallharte Erklärung mit der Darlegung ihrer Position zur Grenze veröffentlicht wurde. Ich selbst war überzeugt, dass mit der Erklärung das Forum gesprengt und eine Fortsetzung des Forums blockiert werden würde. Es kam jedoch anders.
Als wir in Polen ankamen, brach über uns die Nachricht herein, dass der polnische Kardinal Karol Wojtyla zum Papst gewählt worden war. Dieses Ereignis beherrschte nun das Geschehen. Der CDU-Abgeordnete Philipp von Bismarck - ausgerechnet ein Bismarck! - gratulierte den Polen im Namen der deutschen Delegation zur Wahl “ihres" Papstes, und selbst die hartgesottenen kommunistischen Funktionäre bekamen feuchte Augen.
Niemand redete von der Erklärung der CDU-Fraktion, das Forum verlief außerordentlich konstruktiv und wurde in den folgenden Jahren eine wichtige Institution des Dialogs und der Versöhnung zwischen beiden Völkern. Die Wahl des polnischen Papstes hatte das Forum gerettet.
Ein Nachspiel in Bonn: Bei einem Abendessen erzählte ich die Geschichte der neben mir sitzenden spanischen Botschafterin, die mich daraufhin mit großen Augen ansah und den Zeigefinger wedelnd sagte; “Never underestimate the Holy Spirit!”
Aber es gab auch schwierige Aspekte, denn damals stand ich auf der Abschussliste der Rote-Armee-Fraktion
Wenn Sie an Ihre Zeit als Professor für Politische Wissenschaft an der WiSo-Fakultät der Universität zu Köln zurückdenken: Gab es Situationen oder Persönlichkeiten, die Sie geprägt haben?
In der damaligen Zeit hatte ich ein sehr harmonisches Arbeitsverhältnis mit meinen politikwissenschaftlichen Kollegen Graf Kielmansegg, Matz und Schwarz und auch mit den Soziologen, in besondere Erwin Scheuch.
Aber es gab auch schwierige Aspekte, denn damals stand ich auf der Abschussliste der Rote-Armee-Fraktion, die Terror-Gruppe, die damals eine Reihe von Persönlichkeiten ermordet hatte (Darunter auch den Kölner Alumnus Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank). Den Kollegen habe ich dies verschwiegen, und die große Studierendenschar meiner Einführungsvorlesung in der Aula wusste nicht, dass ich dabei eine schusssichere Weste trug und draußen immer Polizeiwagen checkte, dass ich wohlbehalten aus der Vorlesung kam.
Was treibt Sie voran? Was motiviert Sie?
Freude am Leben
Welche drei Bücher würden Sie unseren Lesern weiterempfehlen?
- Thomas Kleine-Brockhoff: Die Welt braucht den Westen. Neustart für eine liberale Ordnung, Hamburg: Körber, 2019
- Robert Kagan: The Jungle Grows Back. America and Our Imperiled World, New York: Alfred A.Knopf, 2018
- Kishore Mahbubani: Has China Won? The Chinese Challenge to American Primacy, New York: Public Affairs, 2020
Was würden Sie unseren Studierenden gerne mit auf den Weg geben? Was sind Ihre drei Tipps?
Studiere ein Jahr im Ausland, koste es was wolle, notfalls mit einem Kredit!
Davon ausgehend, dass Du die Weltsprache Englisch so selbstverständlich gut beherrschst wie Deinen Computer, lerne eine weitere Sprache, am besten im Lande, wo sie gesprochen wird; studiere neben den Fächern Deiner wahrscheinlichen Berufswahl auch völlig anderes, vielleicht auch Exotisches. Dort entdeckst Du vielleicht Deine wahre Berufung.
Vielen Dank für Das Interview!
Die Fragen stellte Ayla Wisselinck