Lisa Runkler im Interview
„Wie es eben so ist - erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“
Unsere Alumna Lisa Runkler arbeitet seit April 2017 bei der Frauenrechtsorganisation Consorcio Oaxaca in Oaxaca, Mexiko. Die Frauenrechtsorganisation setzt sich insbesondere mit Themen wie der Förderung der Beteiligung von Frauen in der Politik und Gesetzgebung auseinander. Zudem setzt sich Consorcio Oaxaca für die Rechte von Frauen, insbesondere auch der indigenen Frauen, und die Gleichstellung der Geschlechter ein. Darüber hinaus arbeitet das Team in der Sicherheit, wie der Selbstsorge (self-care) für Menschenrechtsverteidigerinnen.
Während ihres Bachelor-Studiums der Sozialwissenschaften an der WiSo-Fakultät der Universität zu Köln war Lisa insbesondere in der Hochschulpolitik, unter anderem durch ihre Tätigkeiten in der Studierendenschaft der WiSo-Fakultät, sehr aktiv. 2012 wurde sie durch die Fakultätsvertretung zur ersten Vorsitzenden im Fakultätsrat für die Studierendenschaft WiSo gewählt. Wir sprachen mit Lisa über ihre Arbeit als Frauenrechtlerin, über Ihre Aktivitäten in der Fachschaft WiSo und darüber, was sie inspiriert.
Ich habe ganz ehrlich einfach Glück gehabt und auf mein Bauchgefühl gehört, dass es gar nicht so wichtig ist, einen super stracken Lebenslauf aufzuweisen – sondern auch mal was zu wagen.
Liebe Lisa, Du bist nach Deinem Studium nach Oaxaca gezogen, um bei der Frauenrechtsorganisation Consorcio Oaxaca zu arbeiten. Wie kam es dazu?
Ich habe im März 2015 mein Bachelorstudium an der Uni Köln beendet und war etwas in der Findungsphase, wohin es für mich gehen soll. Also habe ich mich dazu entschieden, ein Volontariat in Mexiko zu machen – im Sommer 2015 habe ich mich dann auf den Weg nach Oaxaca gemacht. Ehrlich gesagt aus einer gewissen Planlosigkeit heraus, aber auch dem Drang Neues zu entdecken und kennenzulernen. Während meines Bachelorstudium hat es mich nach Südamerika, genauer gesagt Chile, zum Auslandssemester verschlagen und irgendwie war da immer noch dieses Gefühl, dass ich mehr von Lateinamerika kennen möchte. Glücklicherweise bin ich bei Consorcio gelandet um mich hier ein Jahr lang als Freiwillige einzubringen, geplant war es danach meinen Master zu machen. Aber wie es eben so ist - erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Nach einem Jahr Volontariat bin ich zurück nach Köln und habe dort gejobbt und meine Überlegungen für ein Masterstudium weiterangegangen. Aber mich hat der Gedanke wieder nach Mexiko zu gehen einfach nicht losgelassen, somit kamen Überlegungen, vielleicht dort meinen Master zu studieren. Aber dann kam das Jobangebot. Anscheinend, wollte ich nicht nur zurück, sondern auch meine Chefinnen wollten mich zurück. So habe ich im Frühjahr 2017 mal wieder meinen Koffer gepackt und mich auf den Rückweg in meine zweite Heimat gemacht. Also wie kam es dazu, dass ich nun hier bin? Ich habe ganz ehrlich einfach Glück gehabt und auf mein Bauchgefühl gehört, dass es gar nicht so wichtig ist, einen super stracken Lebenslauf aufzuweisen – sondern auch mal was zu wagen. Außerdem habe ich eine super Familie und Freunde/Freundinnen die mich in all den irrwitzigen Ideen und meinen Visionen unterstützen. Bis jetzt glaube ich, dass es eine goldrichtige Entscheidung war, persönlich, wie auch beruflich. Ich lerne eine Menge, habe tolle Kolleginnen und wachse täglich am Leben hier vor Ort – und ich weiß, dass ich mit meinem Job hier eine Aufgabe gefunden habe, die mich erfüllt. Mein Masterplan ist nicht vergessen, sondern nur verschoben, manchmal muss man eben flexibel sein, denn auch das Leben ist ja nicht starr.
Oaxaca wäre nicht Oaxaca, wenn es einfach wäre.
Wie ist es, als Frauenrechtlerin in Mexiko zu arbeiten? Es klingt nicht nach einer herkömmlichen Büro-Tätigkeit, wie würdest Du Deinen Berufsalltag beschreiben?
Alltag, was ist schon Alltag. Ich arbeite in der Planung, Evaluation und dem Monitoring der Projekte von Consorcio – klingt erstmal gar nicht so spannend, ist aber tatsächlich eine einnehmende und erfüllende Tätigkeit. Wir sind mittlerweile 23 Kolleginnen, ja und tatsächlich alles Frauen! 23 Kolleginnen bedeutet viele Projekte, also auch viele GeldgeberInnen und Organisationen die uns unterstützen – denn leider benötigt man Geld um Projekte zu realisieren. Bedingt durch meine Tätigkeit habe ich einen Gesamtüberblick über die Arbeit unserer Organisation, aber auch über den Kontext in Oaxaca und Mexiko.
Was sind Deine alltäglichen Aufgaben?
Wenn es eine alltägliche Aufgabe gibt, dann ist es die Kommunikation mit unterstützenden Personen und Organisationen, das Nachhalten und Aufarbeiten von Aktivitäten, wie die Verfassung von Berichten und Projektanträgen und Sensibilisieren. Gleichzeitig arbeite ich am jährlichen Bericht über Femizide (Morde an Frauen, auf Grund ihres Geschlecht) mit, somit gehören das Aufarbeiten von Zeitungsartikeln auch zu meinen Aufgaben – jedoch möchte ich dies nicht als Alltag sehen, denn auch wenn es quasi täglich zu Morden an Frauen kommt, kann und will ich es nicht als Normalität akzeptieren. Aber Oaxaca wäre nicht Oaxaca, wenn es einfach wäre.
Kannst Du uns die Situation vor Ort in Oaxaca schildern?
Der Kontext vor Ort ist politisch, wie sozial angespannt – der Bundesstaat gehört zu den ärmsten Mexikos, Korruption und Straflosigkeit, Gewalt gegen Frauen, in jeglicher und schrecklichster Form sind Probleme mit denen man sich leider täglich auseinandersetzen muss. Alltag ist also eben auch, sich jeden Tag zu sagen, dass der Kampf den wir hier führen etwas bewegt und mit 100% Einsatz zu probieren, an einem neuen Tag etwas zu bewegen, in der Gesellschaft, in einer einzelnen Person – mit der Hoffnung, dass es irgendwann bergauf geht.
Das klingt nach einer schwierigen und teilweise auch belastenden Alltagssituation. Wie motivierst Du Dich dabei?
Und das alles warum? Weil sich kämpfen einfach lohnt und es erst dann verloren ist, wenn keiner mehr etwas macht. Mit all den schwierigen und deprimierenden Situationen denen man hier begegnet lernt man, wächst man und man motiviert sich. Wenn all diese komplexen und traurigen Umstände also der „Alltag“ sind, dann sind es eben genau die Erfolgsgeschichten, die Lichtblicke, die einen auf den Beinen halten und den aufrechten Gang nicht verlieren lassen. Der politische Gefangene der durch unsere Arbeit aus dem Gefängnis frei kommt. Die Frau, die es nach etlichen Jahren endlich schafft den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen und ihren Mann zu verlassen. Frauen, die in Gemeinden nach langjähriger Arbeit politische Stellungen einnehmen und Wahlen gewinnen. Menschenrechtsverteidigerinnen, die nach einem Aufenthalt (in einem unserer Häuser) ein bisschen fröhlicher und stärker gehen. Der Kurs für Studierende den wir geben, der ein Erfolg ist, wenn die meisten gehen und motiviert sind sich zu engagieren. Projektideen, die im Team entstehen und Auswirkungen haben. Alltag ist also auch Hoffnung haben, etwas bewegen wollen, aufstehen, kämpfen, Leute kennenlernen, Geschichten hören, lachen, weinen, warten, feiern, schreiben, mit Enttäuschungen umgehen, sich freuen und vieles mehr.
Alltag sind für mich auch meine Kolleginnen, welche ich für nichts in der Welt eintauschen würde – ein ganz besonderer Haufen sind wir – 23: Alle unterschiedlich, aber alle mit der gleichen Entschlossenheit, dass sich etwas ändern muss.
Ich kann nicht sagen, dass die WiSo-Fakultät mich 100% auf das Leben hier draußen (im Job) vorbereitet hat, aber ich kann sagen, dass mein Studium im Rahmen der Möglichkeiten mir heute sehr hilfreich ist.
Inwiefern hat Dein Bachelor-Studium Dich auf das Berufsleben vorbereitet?
Als ich 2015 mein Studium an der WiSo-Fakultät beendet habe, kam mir eine ähnliche Frage in den Sinn „Und was hast du nun gelernt, was dich qualifiziert?“ – vor zwei Jahren hatte ich ehrlich gesagt keine Antwort auf die Frage. Heute weiß ich, dass mein Bachelorstudium mir Durchhaltevermögen beigebracht hat, wie auch die Fähigkeit zum Selbststudium und das Verstehen von komplexen Sachverhalten. Gleichzeitig habe ich an der WiSo-Fakultät gelernt mich und meine Zeiten gut zu organisieren. Dank einiger DozentInnen kam wohl auch das kritische Hinterfragen und Denken nicht zu kurz. Ich kann nicht sagen, dass die WiSo-Fakultät mich 100% auf das Leben hier draußen (im Job) vorbereitet hat, aber ich kann sagen, dass mein Studium im Rahmen der Möglichkeiten mir heute sehr hilfreich ist.
Manchmal erinnert mich die Arbeit mit VertrterInnen der Politik heute an die Arbeit mit ProfessorInnen – man lernt eben sich durchzusetzen.
Was hat Dich motiviert bei der Fachschaft WiSo aktiv zu werden?
Ich fand ehrlich gesagt die Orientierungsphase damals ziemlich cool und bin danach in die Fachschaft um zu schauen, wo ich mich einbringen kann. Ich mochte es immer, mich für andere einzusetzen und aktiv zu sein. Gleichzeitig mag ich den Gedanken, dass man in der Gemeinschaft etwas bewegt und gerade die Fachschaft WiSo hat, bedingt durch ihre Idee verschiedene Studiengänge zu vereinen, für mich etwas besonders Attraktives gehabt. Und im Nachhinein habe ich viel gelernt durch mein Engagement dort und viele tolle Menschen getroffen. Ich bin toleranter - denn als Sowi ist es vielleicht nicht immer leicht mit BWLerInnen zu diskutieren - und offener geworden. Auch hat mir die Arbeit in den Gremien zugesagt und auch hier habe ich viel mitgenommen. Manchmal erinnert mich die Arbeit mit VertrterInnen der Politik heute an die Arbeit mit ProfessorInnen – man lernt eben, sich durchzusetzen.
Denke ich an meine Studienzeit in Köln zurück, denke ich an…
…tolle Menschen, viele Erfahrungen, lange Nächte in der Bibliothek, Biere am Aachener Weiher, WG-Leben, Fachschaftsarbeit, Glühweine im Winter, schöne Nachmittage auf der Uni-Wiese, freudige Momente nach Klausuren, traurige Momente nachdem das Ergebnis da war, Karneval, Kölsch, den FC, Hausarbeiten, viel Ärger und Freude durch Hochschulpolitik, Nudel mit Tomatensauce am Monatsende, einen tollen Nebenjob, Erfolge, Niederlagen, Entwicklung... an einen schönen, lehrreichen, aufregenden, inspirierenden Abschnitt meines Lebens, den ich nicht missen möchte.
Mich inspiriert Menschlichkeit, also Menschen und ihre Taten.
Wer oder was inspiriert Dich und warum?
Ich könnte jetzt eine große Persönlichkeit unserer Welt nennen mit einem passenden Zitat, aber ehrlich gesagt ist es nicht das. Mich inspiriert Menschlichkeit, also Menschen und ihre Taten. Mich inspiriert meine Familie, weil die einfach super ist und ich immer mit ihr rechnen kann. Meine Kolleginnen, da sie trotz der schweren Situation hier in Oaxaca das Lachen nicht verlernt haben und kämpfen. Mich inspiriert die Straßenverkäuferin, die jeden Tag aufsteht und für ihre Familie einen neuen langen Tag auf den Beinen verbringt. Meine Freunde sind eine riesige Inspiration, denn niemand ist so ehrlich und liebevoll zugleich. Die Präsidentin einer Gemeinde hier in Oaxaca, die trotz all dem Machismo für die Frauen vor Ort einsteht. Die junge Frau, die es schafft aus ihrer Gemeinde an die Uni zu gehen und nach dem Master direkt in den Doktor geht. Ein Lächeln, was eine Person einer anderen schenkt. Eigentlich entdecke ich jeden Tag etwas, was mich inspiriert und ich denke, dass ist auch gut so, denn genau diese Inspiration führt zu Visionen und Träumen und diese wiederrum führen zu Taten, die dieser Welt eben die schönen Seiten verleihen.
Ich glaube es ist wichtig aktiv zu sein und sich einzubringen.
Was würdest Du unseren Studierenden im Allgemeinen gerne mit auf den Weg geben? Und was sind deine drei Tipps für unsere Studierenden?
Ich glaube es ist wichtig,aktiv zu sein und sich einzubringen. Deswegen möchte ich den Studierenden gerne mitgeben, dass sie sich engagieren. Gleichzeitig auf das Bauchgefühl zu vertrauen und sich nicht von dem Druck der Leistungsgesellschaft unterkriegen zu lassen. Ein guter Studienabschluss ist wichtig, aber nicht auf Kosten der Menschlichkeit und des Lebens – genießt das Studium und nutzt es, um euch einzubringen und zu entdecken, was euch liegt und glücklich macht.
Seid mutig, frech und frei.
Und nun zu den 3 Tipps...
1. Lernt etwas von unserer Welt kennen, egal ob Auslandssemester, Reisen oder Praktikum. Ich glaube, es ist wichtig, die Komfortzone zu verlassen und andere Seiten der Welt kennenzulernen, daran werdet ihr wachsen.
2. Arbeiten – ein Nebenjob ist nicht nur für den Geldbeutel gut, sondern auch für die Persönlichkeit. Ich habe seit meinem 16. Lebensjahr gejobbt und alle dieser Arbeiten haben mir etwas gebracht, sei es die Tätigkeit an der Kasse eines Supermarktes, im Verkauf eines namenhaften Schmuckherstellers oder mein Job als SHK beim WiSo-Career Service. Es hilft uns, trotz akademischer Laufbahn auf dem Boden zu bleiben – und ja, studiert wird an der Uni, gelernt wird aber eben auch im Leben.
3. Seid mutig, frech und frei. Nutzt das Studium, um euch zu entdecken und amüsiert euch, denn auch das ist wichtig. Disfruten la vida!
Liebe Lisa, vielen Dank für das Interview!
Interview: Ayla Wisselinck