Sabrina Keßler im Interview
„Es wird mindestens einen Impfstoff brauchen, bis die Konjunktur nachhaltig an Fahrt gewinnt.“
Unsere Alumna Sabrina Keßler ist USA-Korrespondentin, Wirtschaftsjournalistin, Volkswirtin und Start-up-Beobachterin in New York. Sie arbeitet für diverse Medien (ntv, SRF, NZZ, rbb und DW) und ihr Arbeitsalltag findet vor der Kamera, im Radio und in der Zeitung statt. Nach Stationen bei der WirtschaftsWoche, dem Spiegel und McKinsey berichtet sie nun regelmäßig vom wichtigsten Kapitalmarkt der Welt: der New Yorker Wall Street.
Wir sprachen mit ihr über die bevorstehenden US-Wahlen und deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Kapitalmärkte. Darüber hinaus gibt sie unseren Studierenden wertvolle Tipps.
Liebe Frau Keßler, wie sind Sie zu Ihrer Tätigkeit an der New Yorker Wall Street gekommen? Hatten Sie Fernweh?
Irgendwie schon, ja. Als kleines Mädchen war mir schon klar: ich werde später mal Korrespondentin, am liebsten in Washington. Wahrscheinlich habe ich da einfach nur zu viele Nachrichten mit meinen Eltern gesehen, aber irgendwie hat mich die Welt da draußen fasziniert. Das war natürlich lange nur ein Wunschtraum, weil die Chancen auf den Job einfach so unfassbar gering sind. „Wer wird schon Korrespondentin“, dachte ich mir damals, und dann auch noch in Amerika, eines der begehrtesten Ziele für Auslandsjournalisten überhaupt. Aber dann dachte ich mir irgendwann: viel verlieren kannst du nicht, schreiben magst du eh, also warum nicht einfach versuchen?
Ich war dann an einer Journalistenschule, habe nebenbei VWL studiert, was in Zeiten von Handelskriegen, Weltwirtschaftskrisen und Dauerdiskussionen um die Zukunft der Geldpolitik einfach Sinn gemacht hat. Nach ein paar Semestern habe ich dann gemerkt: Wirtschaft liegt mir mehr als Politik und nach und nach habe ich dann angefangen, in Wirtschafts- und Finanzredaktionen zu arbeiten. Mein USA-Traum war natürlich immer noch da, und wie so oft im Journalismus bin ich dann über Kontakte hier an die Stelle in New York gekommen. Klar, dass ich da nicht Nein sagen konnte!
Die Märkte richten ihren Fokus zunehmend auf den bevorstehenden Urnengang in den USA im November. Wie geht es der US-Wirtschaft derzeit? Und was bedeutet, Ihrer Meinung nach, eine mögliche Wiederwahl von Präsident Donald Trump für die weltweiten Wirtschaftsmärkte?
Die amerikanische Wirtschaft tankt langsam Kraft, aber nach wie vor nur langsam. Eine V-förmige Erholung, von der viele Experten im März gesprochen haben, sehen wir maximal an den Aktienmärkten. Viele Amerikaner sind immer noch arbeitslos und auf ein zweites Konjunkturpaket aus Washington angewiesen, das derzeit noch von den Republikanern blockiert wird. Es wird mindestens einen Impfstoff brauchen, bis die Konjunktur nachhaltig an Fahrt gewinnt. Die bevorstehende Wahl wirkt da als zusätzlicher Unsicherheitsfaktor.
Joe Biden konnte zwar in den letzten Tagen deutlich an Beliebtheit gewinnen. Aber nichts ist sicher, dass haben wir schon bei der Wahl 2016 gesehen.
Sollte Trump tatsächlich wiedergewählt werden, stünde ihm seine letzte Amtszeit bevor, was ihn zum Rundumschlag ausholen lassen dürfte. „America First“ wird er wohl noch ernster nehmen, ohne Rücksicht auf Verluste. Handelskriege wären weiter auf der Tagesordnung und damit auch unsichere Wirtschaftsaussichten. Der Favorit vieler Investoren bleibt er trotzdem, weil er die Steuern niedrig halten will und der Wirtschaft lieber freien Lauf lässt, statt Unternehmen zu regulieren.
Schaut man sich die wirtschaftspolitische Agenda der Demokraten an, sieht man weniger große Unterschiede zu den Republikanern als gedacht.
Manager*innen und Politiker*innen in aller Welt setzen darauf, dass sich die vielen globalen Handelskonflikte unter einem US-Präsidenten Biden entspannen werden. Würde es, Ihrer Meinung nach, wirklich so sein? Oder setzt man zu viel Hoffnung auf Joe Biden?
Ich glaube durchaus, dass Biden diplomatischer sein wird als US-Präsident Donald Trump. Handelskriege und Strafzölle werden mit einem Sieg Bidens trotzdem nicht einfach vom Tisch sein, im Gegenteil.
Schaut man sich die wirtschaftspolitische Agenda der Demokraten an, sieht man weniger große Unterschiede zu den Republikanern als gedacht. Gerade unter den Demokraten sind durchaus viele Protektionisten. Außerdem weiß Biden, dass er die Stimmen der weißen Arbeiterschaft braucht, um zu gewinnen. Die lockt er vor allem mit dem Versprechen, die heimische Wirtschaft zu unterstützen und es ausländischen Unternehmen schwer zu machen. Eine Kurswende in der Handelspolitik genieße keine Priorität, hieß es Mitte September. Er wird die Tonlage verändern, nicht aber unbedingt die Härte.
Die Wirtschafts- und Kapital-Branche ist dynamisch. Wie halten Sie sich auf dem aktuellen Stand? Welchen Blogs, Podcasts, Social-Media-Kanälen usw. folgen Sie?
Das ist ein ziemlich wirrer Mix aus allem. Zum Wachwerden morgens und auch für einen guten ersten Überblick lese ich am liebsten die Newsletter verschiedener Redaktionen:
- Das DealBook Briefing der New York Times, das Wall Street Breakfast von Seeking Alpha und CNBC Morning Squawk sind super. Sobald ich etwas mehr Zeit habe, lese ich die New York Times und das Wall Street Journal, das ist eigentlich Standard. Manchmal und je nach Nachrichtenlage kommen da auch noch Artikel von Bloomberg, Barron’s und der Financial Times dazu.
- Wenn ich unterwegs bin, höre ich am liebsten Podcast, The Daily von der New York Times ist immer gut und die meisten Formate von NPR.
- Mein Favorit morgens bleibt aber Morning Brew, ein Newsletter, mit oft unerwarteten, amüsanten und gut recherchierten Themen.
Wie sieht ein klassischer Arbeitstag als USA-Korrespondentin aus?
Das kommt natürlich immer sehr auf die Nachrichtenlage an, kann also auch mal Wochenendarbeit bedeuten. Normalerweise spielt sich aber alles zwischen Montag und Freitag und von 8 Uhr bis 18 Uhr ab. Ich fahre meistens gegen 7:30 Uhr morgens ins Büro nach Downtown, Manhattan, nicht weit von der New York Stock Exchange entfernt, weil ich mindestens drei Mal am Tag auf Sendung bin und permanent zwischen Büro und Börse hin und her laufen muss. Wegen Corona ist der Trading Floor derzeit geschlossen, deswegen berichte ich meistens von der Straße. Meine erste Schalte habe ich kurz nach Handelsstart um 9:40 Uhr, da geht es meistens um eine erste Markteinschätzung.
Zurück im Büro mache ich dann Radio. Entweder produziere ich selbst Beiträge oder werde als Marktexpertin für Gespräche dazu geschaltet. Zur Mittagszeit bin ich dann wieder bei ntv auf Sendung. Manchmal stehe ich dann auch für die Schweizer Tagesschau vor der Kamera, wenn es die Nachrichtenlage hergibt. Nach der Mittagspause schreibe ich oft Texte, u.a. für die NZZ. Bis Handelsschluss habe ich dafür Zeit.
Dann habe ich meine vorletzte Sendung, wieder für ntv, und um kurz nach 17 Uhr schalte ich noch für eine internationale Wirtschaftsendung der Deutschen Welle.
Danach nur noch einmal schnell ins Studio für einige Radioberichte. Da produziere ich dann sogenannte Aufsager, die am nächsten Morgen im Schweizer und im deutschen Radio laufen, quasi eine kurze Zusammenfassung des Börsentages.
Auch wenn’s mal schwierig ist: nicht aufgeben!
Bitte ergänzen Sie: „Denke ich an meine Studienzeit in Köln zurück, denke ich an …“
...Sehr viele gute Freunde, eine wahnsinnig lehrreiche Zeit, legendäre WG-Partys und tolle Karnevalspartys.
Dazwischen aber auch unfassbar lange Abende in der Bibliothek, stressige Klausurphasen und schlaflose Nächte, aber hat sich ja alles gelohnt, zum Glück!
Was würden Sie unseren Studierenden gerne mit auf den Weg geben? Was sind Ihre drei Tipps?
Auch wenn’s mal schwierig ist: nicht aufgeben! Ich hatte selbst Phasen in meinem Studium, wo mir alles zu viel wurde und ich echt dachte: wofür mache ich das eigentlich? Aber jetzt, viele Jahre später, kann ich mit Stolz behaupten, dass mir mein Ehrgeiz von damals geholfen hat, das zu werden, was ich heute bin.
Sammle Praxis-Erfahrung und Praktika: Ich habe die klausurenfreie Zeit immer für Praktika genutzt. Klar hat man dann quasi nie frei, aber die Erfahrungen außerhalb des Hörsaals sind so unfassbar wichtig. Theorie und Lehrbücher sind zwar die Basis für alles. Aber wie der Hase wirklich läuft, lernt man nur in der Praxis.
Bau dir dein eigenes Netzwerk: ohne Kontakte wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin und das ist in vielen Branchen ähnlich. Sicher schwierig, gerade am Anfang, wo man gar nicht weiß, wen man eigentlich ansprechen soll oder wie man sich ein Netzwerk aufbaut. Ich habe immer guten Kontakt zu den Menschen aus meinen Praktika gehalten, war auf vielen Branchentreffen und versuche auf LinkedIn und XING aktiv zu sein.
Vielen Dank für Das Interview Frau Keßler!
Interview: Ayla Wisselinck