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Norbert Walter-Borjans im Interview

Foto: Finanzministerium NRW

Ein unkonventioneller Denker

Unser Alumnus Norbert Walter-Borjans ist ehemaliger Finanzminister von NRW und einer der renommiertesten Finanzexperten der Republik. Er machte sich bundesweit durch seine Ankäufe der sogenannten Steuer-CDs einen Namen, mit deren Hilfe er entschieden Steuerstraftäter verfolgte. Wir sprachen mit ihm über seine frühere Arbeit als Finanzminister. Außerdem gibt er unseren Studierenden wertvolle Tipps und blickt auch selbst zurück auf seine eigene Zeit als Student.

Lieber Herr Walter-Borjans, Ihnen wurde Kreativität und Mut bei der Arbeit zugeschrieben. Sie wurden sogar als „Robin Hood“ der Steuergerechtigkeit gefeiert und als Finanzminister, der die Steuer-CDs kaufte, bundesweit prominent. Was hat Sie motiviert, so „unkonventionell“ zu handeln? Was trieb Sie im Berufsalltag an? 

Das hat viel mit Gerechtigkeit zu tun. Wenn wir unser Land zukunftsfest machen wollen und die Kosten dafür nicht nur bei denen hängen bleiben sollen, die keine Chance haben, sich zu drücken, dann müssen wir zu allererst dafür sorgen, dass alle sich an die Gesetze halten. 

Und dass die Gesetze keine Scheunentorgroßen Schlupflöcher haben, die nur einem speziellen Kreis zur Verfügung stehen. 

Was mich antrieb war, für eine solide Finanzbasis zu sorgen, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann - und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Ehrlichen bei der Lastenverteilung nicht die Dummen sind.

Was mich antrieb war, für eine solide Finanzbasis zu sorgen, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann

Norbert Walter-Borjans

Sie haben lange Jahre äußerst anspruchsvolle Aufgaben verantwortet und sicherlich viele interessante Begegnungen/Situationen erlebt. Würden Sie uns kurz von einem Ihrer unvergesslichsten Erlebnissen erzählen?

Vielleicht liegt es an meinem guten Gedächtnis, dass es viele unvergessliche Erlebnisse gab. Als Regierungssprecher in den 1990er Jahren war ich mit dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau beim Papst, traf Gorbatschow, Arafat und viele andere. Das war sicher das Spektakulärste. 

Am erschütterndsten war 1993 der Besuch des Solinger Hauses, in dem tags zuvor eine fünfköpfige türkische Familie bei einem feigen Brandanschlag ums Leben gekommen war. 

Aus der Zeit als Finanzminister bleibt mir in Erinnerung, wie viele Menschen in Briefen, auf der Straße, in der Kneipe gesagt haben: Sorg bloß weiter dafür, dass den Steuertricksern das Handwerk gelegt wird. Das passiert sogar heute noch. Das bleibt unvergesslich, weil Lob für einen Politiker ja nicht der Normalfall ist.

Nach den NRW-Landtagswahlen im Mai 2017 sind Sie vom Amt des Finanzministers ausgeschieden. Verraten Sie uns etwas über Ihre Pläne und Wünsche für die Zukunft?

Ich bin wenige Monate nach der Wahlniederlage 65 geworden. Auch wenn ich ganz sicher nicht vorhabe, als Polit-Pensionär auf dem Sofa zu sitzen, muss ich nicht händeringend nach einer beruflichen Perspektive suchen. Es freut mich, dass es viele Anfragen von ganz unterschiedlichen Seiten gibt, ob ich nicht von meinen Erfahrungen berichten will. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik fremdeln ja auch deshalb, weil sich alle so schwer tun, den Blickwinkel der jeweils anderen anzunehmen. Ich hatte das Glück, in allen drei Bereichen tätig gewesen zu sein. Wenn das in einer Zeit gefühlter Wahrheiten beim Brückenbauen helfen kann, bin ich gern dabei. Und ein paar zu kurz gekommene Hobbies, wie die Bildhauerei, habe ich auch noch.

Auch wenn ich ganz sicher nicht vorhabe, als Polit-Pensionär auf dem Sofa zu sitzen, muss ich nicht händeringend nach einer beruflichen Perspektive suchen

Norbert Walter-Borjans

Wussten Sie bereits als Student, dass Sie in die Politik gehen würden?

Als Student war ich politisch interessiert und habe manchmal davon geträumt, eines Tages als SPIEGEL-Redakteur über Politik zu berichten. Politisch aktiv war ich nicht. Das hat sich erst geändert, als ich an der Kölner Uni promovierte. Davor hatte ich ja schon knapp zwei Jahre im Marketing bei Henkel in Düsseldorf gearbeitet - auch eine gute und unvergessliche Zeit, in der ich viel gelernt habe. Zum aktiven Mittun in der Politik hat mich erst das Misstrauensvotum von Helmut Kohl gegen Helmut Schmidt bewogen. Da war ich 30 und entschied mich für die SPD.

Als Student war ich politisch interessiert und habe manchmal davon geträumt, eines Tages als SPIEGEL-Redakteur über Politik zu berichten

Norbert Walter-Borjans

Gab es Zufälle, Situationen, Begegnungen mit bestimmten Personen während Ihrer Promotion an der WiSo-Fakultät, die Sie inspiriert und Ihren beruflichen Werdegang besonders geprägt haben?

Mein Promotionsthema, den Beitrag des Fernstraßenbaus für die regionale Wirtschaftsentwicklung mit den Folgen für die Umwelt zu vergleichen, war Anfang der 1980er Jahre aus ökonomischer und ökologischer Sicht ein ganz heißes Eisen. Weil das Ergebnis von der Pressestelle auch noch offensiv kommuniziert wurde, hatte ich plötzlich alle möglichen Anfragen der Medien. 

Das fing mit dem Kölner Stadt-Anzeiger an, reichte über die ZEIT bis zu allen denkbaren Interviewformen im Radio: live im Studio, Aufzeichnung, Telefon usw. Das war nicht nur ein lehrreicher Crash-Kurs in Sachen Kommunikation, sondern so fiel meine Arbeit auch Bürgerinitiativen und der Politik auf. 

Ich wurde zum Mitbegründer des umweltorientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und bekam die Chance, in der NRW-Staatskanzlei Referent für Fragen des Strukturwandels und später auch der Finanzen zu werden. Das kann man nicht planen. Aber eine Lehre ist: Kommunikation ist ein ganz wichtiger Baustein.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: Köln ist für mich…

...bunt, bodenständig, chaotisch, lebenswert - und sehr kommunikativ!

Was würden Sie Ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen gerne mit auf den Weg geben? Was sind Ihre drei Tipps?

1. Studieninhalte werden notwendigerweise immer spezialisierter. Vergessen Sie dabei nicht, dass jede Wissenschaft Teil eines großen Ganzen ist. Elfenbeinturm-Wissenschaft ohne Selbstverständnis als Teil der Gesamtgesellschaft ließe viele Fortschritts-Chancen liegen.

2. Nicht abschotten. Miteinander austauschen. Kommunizieren. Auch durch Aktivitäten außerhalb von Studium und Hochschule. Dafür bietet Köln viele Gelegenheiten.

3. Das betrifft meine Wissenschaft, die Volkswirtschaftslehre: Darauf drängen, dass Pluralität der wissenschaftlichen Denkrichtungen gefördert wird. VWL ist keine Natur-, sondern Gesellschaftswissenschaft. Das ist bei uns (soweit ich das beobachten kann) weniger erkennbar als zum Beispiel in den USA.

 

Vielen Dank für das Interview!

Die Fragen stellte Ayla Wisselinck

 

Über Norbert Walter-Borjans

Dr. Norbert Walter-Borjans studierte an der Universität Bonn und promovierte an der WiSo-Fakultät der Universität zu Köln. Er war wissenschaftlicher Assistent am Institut für Verkehrswissenschaft/Seminar für Wirtschaftstheorie unter der Leitung von Rainer Willeke

Von 2010 bis 2017 war Norbert Walter-Borjans nordrhein-westfälischer Finanzminister. Vorher war der SPD-Politiker Dezernent und Stadtkämmerer in Köln. Neben diversen Funktionen in der Landesregierung hatte er unter anderem Positionen als Regierungssprecher und Staatssekretär inne. Er ist Vater von vier erwachsenen Kindern und beschäftigt sich in seiner freien Zeit als Bildhauer.