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Kevin Berghoff im Interview

© Laurin Berghoff

Chancengleichheit: Studieren als Arbeiterkind

Obwohl Hochschulbildung in Deutschland kostenlos ist, besteht noch immer ein Gefälle zwischen Studierenden aus Akademiker-Familien und Nicht-Akademiker-Familien. Das zeigt faktisch der Bildungstrichter“ aus der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks: Danach stammen 52% der Studierenden aus einem Haushalt, in dem mindestens ein Elternteil über einen Hochschulabschluss verfügt. 20% der Studierenden haben Eltern mit einem Berufsabschluss ohne Abitur. 2% der Studierenden in Deutschland haben Herkunftsfamilien ohne beruflichen Abschluss. 

Unser Alumnus Kevin Berghoff (Abschlussjahrgang 2017 – BWL Bachelor) ist Initialzünder und Mitgründer der Speed Up, Buddy! Initiative. Das Ziel der Initiative ist, Arbeiterkinder zu fördern und diese über ein erfolgreiches Studium bis hin zum Berufseinstieg zu begleiten. Kevin hat nach seinem Bachelorstudium in Köln noch einen CEMS Master an der Nova SBE in Portugal angeschlossen und den nahtlosen Einstieg in eine renommierte und internationale Unternehmensberatung geschafft. 
Wir sprachen mit ihm über seine Herzensangelegenheit, die Speed Up, Buddy! Initiative, und über seine Studienzeit an der WiSo-Fakultät.

Lieber Kevin, wie bist Du auf die Idee gekommen die Speed Up, Buddy! Initiative zu gründen?

In meiner Familie hat weder jemand Abitur gemacht noch studiert. Daher hatte ich nie Ansprechpartner in meinem familiären Umfeld, die mir zu Uni, Praktika oder Auslandssemstern weiterhelfen konnte. Ich hatte das Glück, in meinem ersten Semester an der Uni Köln in einem Freundeskreis zu landen, in dem alle gut über solche Themen Bescheid wussten. Oft hatten die Eltern oder Geschwister meiner Freunde selbst studiert und wussten, wie es in der „Wirtschaft“ so läuft. Dadurch habe ich sehr viel gelernt, z.B. wie wichtig ein Auslandssemester oder auch Praktika sind für den späteren Berufseinstieg. Bei mir war es Glück im ersten Semester an die richtigen Leute zu geraten - Speed Up, Buddy! möchte ein solches Umfeld für junge Menschen schaffen, die selbst als Erste*r in der Familie den Schritt an die Uni wagen.

Nachdem die Idee für die Initiative da war, wie ging es weiter? Gab es bestimmte Hürden, an die du dich erinnern kannst?

Zunächst ging es darum, ein starkes Team zu finden mit Menschen, die einen ähnlichen Hintergrund haben. Über LinkedIn hat sich dann aber schnell ein Kernteam von 10 Personen gebildet, das heute den Großteil der Arbeit übernimmt. Danach mussten wir die Eintragung unseres Vereins als e.V. beantragen wobei wir das Glück hatten, einen Juristen in unserem Kernteam zu haben. Schließlich ging es auch darum, wie genau das Mentoring jetzt aussehen soll: Wer darf Mentor werden? Unterstützen wir ausschließlich „Arbeiterkinder“? Es begeistert mich immer wieder aufs Neue, mit wie viel Engagement alle dabei sind, weil es eben so ein wichtiges Thema ist.

Meine Eltern haben immer gesagt “Mach lieber eine Ausbildung bei Unternehmen XY im Nachbardorf. Das ist sicherer und Du verdienst Geld. Wenn Du studierst können wir Dich finanziell eh nicht unterstützen“

Kevin Berghoff

Arbeiterkinder sind an der Uni deutlich unterrepräsentiert. Was sind, Deiner Meinung nach, die Gründe dafür?

Ich glaube meine persönliche Geschichte ist repräsentativ für viele „Arbeiterkinder“: Meine Eltern haben immer gesagt “Mach lieber eine Ausbildung bei Unternehmen XY  im Nachbardorf. Das ist sicherer und Du verdienst Geld. Wenn Du studierst können wir Dich finanziell eh nicht unterstützen“. Zusätzlich haben in meinem Freundeskreis vom Land alle eine Ausbildung gemacht und so war ich sofort Exot, als ich überlegt habe, in eine andere Stadt für ein Studium zu gehen. Ich wusste lange Zeit nicht, dass es Bafög gibt und dass das die Finanzierung meines Studiums inklusive Auslandssemester komplett abdeckt. Außerdem ist es für „Arbeiterkinder“ schwer abzuschätzen, ob sich ein Studium finanziell lohnt, da Vergleichswerte in der eigenen Familie nicht existieren. Zuletzt gehört natürlich auch eine Menge Mut dazu, einen anderen Weg zu gehen als die Eltern es getan haben. Sie wissen, dass sie auf keinerlei Erfahrungswerte aus dem familiären Umfeld zurückgreifen können. Letztlich ist immer die Frage im Hinterkopf „Was ist, wenn ich scheitere?“ – das bringt viele Arbeiterkinder dann zum Schluss, dass eine Ausbildung der vermutlich sicherere und bodenständigere Weg ist.

© Michael Jesswein

Kannst Du uns über die Speed Up, Buddy! Initiative etwas erzählen. Wie seid Ihr organisiert und wie wird man eigentlich Mentee?

Organisation: Wir haben ein Kernteam von 13 Personen, das sich um die zentralen Themen kümmert wie z.B. Marketing, Partnerschaften, Gewinnung von Mentoren und Mentees. Bei uns engagieren sich alle ehrenamtlich und parallel zu ihrem Hauptjob.  
Mentee-Prozess: Wenn sich ein Mentee bei uns bewirbt, muss er/sie seine Motivation beschreiben: Warum sollten wir Dich unterstützen? Bei welchen Fragen können wir helfen? Danach gibt es ein telefonisches Erstgespräch, um genau zu verstehen, ob es nicht ggf. noch weitere Aspekte gibt, die wir beim „Matching“ mit den Mentor*innen beachten müssen. Danach wird basierend auf verschiedenen Faktoren (Studiengang, Praktika, Berufswunsch, spezifische Fragen) der/die „perfekte“ Mentor/in rausgesucht und das Mentoring startet. Je nach Möglichkeiten findet das Mentoring dann persönlich vor Ort, per Video oder telefonisch statt. Ziel ist dabei die langfristige Unterstützung bis in den ersten Job nach dem Studium.
 

Du arbeitest hauptberuflich als Unternehmensberater bei McKinsey. Wie schaffst Du es Deine Tätigkeit als Unternehmensberater und die Arbeit mit Speed Up, Buddy! zu vereinbaren?

Unter der Woche liegt der Fokus ganz klar auf der Arbeit als Unternehmensberater, aber am Wochenende nehme ich mir gerne die Zeit, um S’UP voranzutreiben. Das ganze Projekt funktioniert auch nur so gut, weil wir ein sehr starkes Team haben und die Arbeit auf vielen Schultern verteilt werden kann. Da alle Mitglieder unseres Kernteams hauptberuflich in ähnlich zeitintensiven Jobs tätig sind, sind wir als Verein sehr professionell organisiert mit klaren Zuständigkeiten und Aufgaben. Das mag nicht besonders agil und cool klingen, aber das ist der einzige Weg, einen zeitintensiven Job und S’UP unter einen Hut zu bringen.

Die Studienzeit in Köln war aus meiner Sicht die mit Abstand prägendste Phase in meinem Leben

Kevin Berghoff

Inwiefern hat Deine Studienzeit in Köln Dein Leben geprägt?

Die Studienzeit in Köln hat mein Leben komplett verändert. Nach dem Abitur in einer sehr ländlichen Gegend, in der viele Leute nach der Ausbildung schon mit Anfang 20 die Jahre zur Rente runterzählen, war ich auf einmal in einem Freundeskreis, in dem jeder Bock hatte auf die Zukunft. Nach dem Auslandssemester, in dem ich auch meine jetzige Freundin kennengelernt habe, folgte der Master im Ausland und der Einstieg bei McKinsey. Die Studienzeit in Köln war daher aus meiner Sicht die mit Abstand prägendste Phase in meinem Leben. 

Bitte vervollständige den Satz: Denke ich an meine Zeit in Köln zurück, denke ich an…

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Was würdest Du unseren Studierenden gerne mit auf den Weg geben? Hast du eine Top drei an Tipps?

1) Macht Praktika: Von vielen Menschen habe ich gehört „Praktika sind nichts Halbes und nichts Ganzes.“ Ich finde es gibt keine bessere Form, bezahlt Erfahrungen zu machen und zu lernen, in welche Richtung man nach dem Studium gehen möchte und in welche eben nicht. Außerdem gibt es mittlerweile unzählige Jobs, die mehrere Praktika als Voraussetzung zur Bewerbung nennen.

2) Geht ins Ausland: Ich habe lange gezweifelt ob es sich „lohnt“ und war schlussendlich für 6 Monate in China. Im Nachhinein die beste Entscheidung im Bachelor. Man bekommt einen anderen Blick auf die Welt, wenn man durch einen Vorort von Shanghai fährt, der 10x so groß ist wie Köln, mit den chinesischen Kommilitonen Hühnerfüße in der Mensa isst oder versucht, eine komplett fremde Sprache zu lernen.

3) Stellt Fragen: Ob bei Kommilitonen, Professoren, Freunden, entfernten Bekannten oder Mentoren aus dem Netz wie Speed Up Buddy: holt euch Tipps und den Rat anderer ein, teilt eure Gedanken. Ein konkretes Beispiel: Wenn ihr euch für ein Praktikum bewerben wollt, aber niemanden kennt, der bei diesem Unternehmen arbeitet, nutzt LinkedIn. Wenn mir dort jemand freundlich schreibt mit konkreten Fragen, nehme ich mir immer die Zeit, zu helfen wo ich kann.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Interview: Ayla Wisselinck