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Mariano Rayo im Interview

Portrait of Mariano Rayo

Unser Alumnus Mariano Rayo (Abschluss 1990) studierte Wirtschaftspolitik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Anschließend kehrte er in seine Heimat Guatemala zurück und war dort zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Wirtschaftsforschung und Beratung der Asociación de Investigación y Estudios Sociales (ASIES). Mit Beginn der Regierung unter Staatspräsident Álvaro Arzú war Mariano Rayo von 1996 bis 1997 Generalsekretär im Ministerrang des Nationalen Rates für Wirtschaftsplanung. In dieser Funktion war er Teil der Regierungsdelegation, die an den Friedensgesprächen mit der Guerillaorganisation Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca (URNG) im Mai 1996 teilnahm und unter anderem das Abkommen über einen sozioökonomischen Wandel und die landwirtschaftliche Situation in Guatemala aushandelte, was schließlich zur Unterzeichnung des endgültigen Friedensabkommens und damit zur formellen Beendigung des sechsunddreißigjährigen Bürgerkriegs in Guatemala führte. 
Ab Mai 1997 bis zum Ende der Regierung Arzú im Januar 2000 war er Leiter des Regierungskabinetts, bis 2012 war er Abgeordneter der Unionistischen Partei im Kongress der Republik Guatemala. Im September 2015 wurde er im Nachgang einer Korruptionsaffäre der Regierung Otto Pérez kurzzeitig zum Minister für öffentliche Gesundheit und soziale Hilfe im Kabinett von Übergangspräsident Alejandro Maldonado ernannt und bekleidete dieses Amt bis Januar 2016. Derzeit setzt er seine akademische Arbeit in der Wirtschafts- und Politikforschung als Koordinator von Sonderprojekten für ASIES fort. Darüber hinaus arbeitet er als unabhängiger Berater auf nationaler und internationaler Ebene und ist Mitglied verschiedener Aufsichtsräte privater Unternehmen. Außerdem moderiert er allmorgendlich ein dreistündiges Radiomagazin. 
Im Alumni-Interview sprachen wir über das nötige Gleichgewicht zwischen den Forderungen der Guerilla und dem Wunsch des Volkes nach wirtschaftlichem Wohlergehen, den Einfluss der Deutschen Einheit auf den Erfolg der Friedensverhandlungen und die Auswirkungen der Sozialen Marktwirtschaft auf den Fortschritt in Guatemala.

Die Soziale Marktwirtschaft zu entdecken und von Universitätsprofessoren zu lernen, die an vorderster Front der theoretischen und praktischen Entwicklung dieses Systems standen, war etwas Einzigartiges.

Mariano Rayo

Lieber Herr Rayo, Sie sind in Guatemala geboren und aufgewachsen. 1982 sind Sie nach Deutschland gekommen und haben hier an der WiSo Wirtschaftspolitik unter anderem bei Prof. Dr. Christian Watrin studiert. Was hat Sie bewogen, nach Deutschland zu kommen, hier zu studieren und wie ist Ihre Entscheidung auf die WiSo gefallen?

1976 reiste ich zum ersten Mal im Rahmen eines Studierendenaustauschs nach Deutschland. In diesem Jahr lernte ich eine wunderbare deutsche Familie kennen, die in Siegburg lebte – bis heute verbindet uns eine außergewöhnliche Freundschaft. Zwischen 1976 und 1982 kehrte ich mehrmals zum Studium und Vergnügen nach Deutschland zurück. So war es fast selbstverständlich, dass ich mir nach dem Abitur in Guatemala eine deutsche Universität in der Nähe von Siegburg suchen würde. Ursprünglich um Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Während ich schon an der WiSo war, habe ich mich immer mehr für Wirtschaft, Politik und Soziologie interessiert. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir über die 1980er Jahre sprechen, als sich viele Veränderungen in der Welt vollzogen, auch in der zentralamerikanischen Region. 

Während ich schon an der WiSo war, habe ich mich immer mehr für Wirtschaft, Politik und Soziologie interessiert. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir über die 1980er Jahre sprechen, als sich viele Veränderungen in der Welt vollzogen, auch in der zentralamerikanischen Region.

Mariano Rayo

Auch damals gab es ausländische Studierende, allerdings nicht so viele und noch weniger aus Lateinamerika. Viele von denen, die an der WiSo studierten, waren Exilanten aus Ländern, in denen sie sich in politischen Aktivitäten, einschließlich Guerillabewegungen, engagiert hatten und Stipendien erhielten. Mein Fall war anders. Ich kam durch eine persönliche Entscheidung und hatte kein Stipendium. Deshalb habe ich mich mehr dem Studieren und Leben in der Gemeinschaft der deutschen Studierenden verschrieben als dem Zusammensein mit Ausländern. 

Das hat mir viele Türen geöffnet und mir die Möglichkeit gegeben, mich mehr in den deutschen Alltag innerhalb und außerhalb der Universität einzubringen. Natürlich habe ich auch an verschiedenen Orten gearbeitet, die mir Erfahrungen von Verantwortung, Pünktlichkeit, Einsatz und Engagement vermittelt haben. Diese Werte prägten mein Leben und werden als Vermächtnis meines Lebens in Köln, Bonn und Siegburg aufbewahrt.

Die Soziale Marktwirtschaft zu entdecken und von Universitätsprofessoren zu lernen, die an vorderster Front der theoretischen und praktischen Entwicklung dieses Systems standen, war etwas Einzigartiges.

Unmittelbar nach Ihrem Abschluss sind Sie wieder in Ihre Heimat zurückgekehrt, wo Sie ab 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Wirtschaftsforschung und Beratung der Asociación de Investigación y Estudios Sociales (ASIES), einem Thinktank zur Stärkung der demokratischen Rechtsstaatlichkeit und der umfassenden Entwicklung Guatemalas, beschäftigt waren. Inwiefern hat Ihr Studium an der WiSo Ihre berufliche Laufbahn und Ihren Einstieg in die Arbeit bei ASIES beeinflusst? Konnten Sie Ihr in Deutschland erworbenes Wissen auf die guatemaltekischen Umstände und Besonderheiten übertragen?

ASIES arbeitete eng mit der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen und verbreitete christlich-demokratische und sozial-christliche Ideen und Politiken in Guatemala. Darüber hinaus unterhält die guatemaltekische Universität Francisco Marroquín, mit der ich eine Affinität habe, eine enge Beziehung zur Mont Pelerin Gesellschaft. So konnte ich fast von Anfang an Räume finden, um das an der WiSo Gelernte zu transferieren. Aber nicht nur in der Theorie, sondern ganz praktisch, denn ich war schnell in der Beratung für die Zentralbank, das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium tätig. 

Sowohl die politische Linke als auch die politische Rechte haben Männer und Frauen verloren, die viel zur Entwicklung Guatemalas beigetragen hätten. Deshalb war ich schon in jungen Jahren in Entscheidungen und Machtpositionen tätig. In mir wurde es angewendet: "Vom Buch zur Macht".

Mariano Rayo

Ich merkte jedoch schnell, dass die Ideen und Vorschläge nicht kopiert werden konnten, weil unsere Realitäten und unsere Geschichte sehr unterschiedlich waren. Ohne die Strenge der Ausbildung an der WiSo aufzugeben, bestand die tägliche Herausforderung in den Strukturen und Umständen Guatemalas, vor allem, weil mein Land durch den internen bewaffneten Konflikt eine ganze Generation von Fachleuten und Akademikern verloren hatte. Sowohl die politische Linke als auch die politische Rechte haben Männer und Frauen verloren, die viel zur Entwicklung Guatemalas beigetragen hätten. Deshalb war ich schon in jungen Jahren in Entscheidungen und Machtpositionen tätig. In mir wurde es angewendet: "Vom Buch zur Macht".

Ich kann nicht umhin, herausragende Professoren an der Universität zu Köln zu erwähnen, wie z.B. Dr. Watrin, die mir beigebracht haben, von der Theorie in die Praxis zu denken und zu diskutieren. Die Kolloquien waren Räume für die Akkumulation von Wissen. Zudem ermöglichten mir die Beziehungen der WiSo zu anderen Universitäten, Stiftungen und Think Tanks eine Erweiterung meiner beruflichen Ausbildung. Darüber hinaus trug die Vielfalt der Kurse dazu bei, dass ich nicht an eine einzige Disziplin gebunden war.

Ihr weiterer Weg ist gekennzeichnet von zahlreichen politischen Stationen: Sie waren bspw. als Generalsekretär des Nationalen Rates für Wirtschaftsplanung an den Friedensgesprächen mit der Guerillaorganisation URNG beteiligt, die schließlich zur formellen Beendigung des sechsunddreißigjährigen Bürgerkriegs in Guatemala führten. Was waren die größten Herausforderungen bei den Friedensgesprächen, insbesondere in Bezug auf wirtschaftspolitische Themen?

Meine Teilnahme an den Friedensverhandlungen hatte zwei Momente. Die erste Mission im Jahr 1995, noch bevor Álvaro Arzú sein Amt als Präsident der Republik antrat, wurde lange Zeit geheim gehalten und zielte darauf ab, die Grundlagen für die Wiederaufnahme des Friedensprozesses zu legen. Insbesondere weil die zukünftige Regierung, die ich vertrat, konservativ-liberal war – damals nannte man uns neoliberal – und die Guerilla marxistisch-leninistisch nach kubanischem Vorbild orientiert war. Es gab stundenlange Diskussionen, in denen erläutert wurde, warum wir dazu übergehen würden, mehrere Dienstleistungen zu privatisieren und wirtschaftspolitische Entscheidungen zu treffen, die eine 180-Grad-Wende gegenüber dem bewirken würden, was zurzeit in Guatemala umgesetzt wurde. Natürlich gaben mir die Erfahrungen und Ergebnisse der Deutschen Einheit viele Argumente, um die Kommandeure zu überzeugen.

Frieden ohne wirtschaftliche Ergebnisse und Wohlergehen der Bürger wäre ein Scheitern gewesen. Mit der Sozialen Marktwirtschaft als Leitmotiv haben wir politischen Frieden erreicht und Ergebnisse erzielt.

Mariano Rayo

Schon bei der Ausübung der Macht bestand die Herausforderung darin, vom Diskurs zur Praxis überzugehen und ein Gleichgewicht zwischen dem zu suchen, was mit der Guerilla ausgehandelt und in verschiedenen Abkommen unterzeichnet wurde, und der Regierungsführung zu finden. Die Bürger erwarteten konkrete Ergebnisse, nicht nur ein Ende der internen bewaffneten Konfrontation. Frieden ohne wirtschaftliche Ergebnisse und Wohlergehen der Bürger wäre ein Scheitern gewesen. Mit der Sozialen Marktwirtschaft als Leitmotiv haben wir politischen Frieden erreicht und Ergebnisse erzielt. 

Das Guatemaltekische Parlamentsgebäude

Sie sind dann als Kabinettschef in die Regierung unter Staatspräsident Álvaro Arzú gewechselt und waren anschließend drei Legislaturperioden lang Abgeordneter für die junge Unionistische Partei im Kongress der Republik Guatemala. In Ihre Zeit als Kabinettschef fallen bspw. die Einführung des Allgemeinen Telekommunikationsgesetzes und des Allgemeinen Elektrizitätsgesetzes, die zu erheblichen Verbesserungen der Strom- und Telefonversorgung des Landes führten. Als Abgeordneter waren Sie lange Jahre Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Außenhandel. Wie kam der Wechsel von der Wissenschaft in die Politik zustande? Gab es eine bestimmte Vision oder ein Ziel, das Sie mit Ihrem Wechsel in die Politik verwirklichen wollten? 

Nach dem Ende der internen bewaffneten Konflikte gehörte ich zur ersten Generation der sogenannten „Technopolitiker“, also jener junger Menschen, die fast nach dem Verlassen der Universität, in meinem Fall der Universität zu Köln, die Möglichkeit hatten, politische Verantwortung zu übernehmen. Wir hatten viele Bücher im Kopf, aber wenig oder gar keine Erfahrung in der realen politischen Arbeit. Wir haben die Herausforderung angenommen, wir haben uns ins Wildwasser gestürzt und trotz des Widerstands von vielen Seiten und auch dank der Unterstützung von Führern wie Álvaro Arzú ist es uns gelungen, dass die richtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen getroffen wurden.

Was ich vorhin erwähnt habe, hatte viel mit den Werten zu tun, die ich nicht nur an der WiSo, sondern auch im täglichen Leben in Deutschland erworben habe: Disziplin, Einsatz, Engagement, Hartnäckigkeit, Pünktlichkeit und Ordnung.

Vier Jahre Regierung reichen nicht aus, um alle wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen zu erreichen, die erforderlich sind, um Wohlstand für alle zu erreichen. Insbesondere dann, wenn ein Kongress nicht mit der Verabschiedung von Gesetzen oder der Reform von Gesetzen einhergeht.

Aus diesem Grund konnte ich, als ich später Gesetzgeber wurde und mit der Erfahrung, in der Regierung gewesen zu sein, Gesetzesänderungen vorantreiben, die die neuen Regeln des wirtschaftlichen Spiels festlegen würden. So habe ich zum Beispiel die zweite Währungs- und Finanzreform meines Landes nach 1945 vorangetrieben, die heute in Kraft ist und zu einer anerkannten makroökonomischen Stabilität geführt hat. 

Wir hatten viele Bücher im Kopf, aber wenig oder gar keine Erfahrung in der realen politischen Arbeit. Wir haben die Herausforderung angenommen, wir haben uns ins Wildwasser gestürzt und trotz des Widerstands von vielen Seiten und auch dank der Unterstützung von Führern wie Álvaro Arzú ist es uns gelungen, dass die richtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen getroffen wurden.

Mariano Rayo

Es stehen noch viele Reformen an, um Guatemala zu einem modernen, wettbewerbsfähigen Land zu machen, das in der Lage ist, seinen Bürgern gleiche Chancen zu bieten. Ich hatte die Möglichkeit, als Minister, Staatssekretär, Stabschef und als Gesetzgeber Einfluss zu nehmen, und dies dank der Qualität der Ausbildung, die ich in Köln erhalten habe. Ich bin überrascht, dass die neuen Führer in meinem Land nicht genügend Klarheit über die Entscheidungen haben, die getroffen werden müssen, um ein höheres Entwicklungsniveau zu erreichen. Zu viel Betonung von Rechten und mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Die individuelle Freiheit hat sich in Zügellosigkeit verwandelt, es gibt keinen Respekt mehr, nur noch Toleranz, Grundwerte sind verloren gegangen.

Sie sind Köln immer treu geblieben, sind auch zu Besuchen an Ihre Alma Mater zurückgekehrt und pflegen noch immer den Kontakt zu einigen Kommilitoninnen und Kommilitonen aus Ihrer Zeit in Köln. Welchen Wert haben für Sie internationale Netzwerke, insbesondere angesichts Ihrer Erfahrung im politischen und wissenschaftlichen Bereich?

Als ich durch Zufall von den internationalen Netzwerken der Universität zu Köln erfuhr, zögerte ich keine Minute, mich an ihnen zu beteiligen. Nicht nur, weil ich gerne wieder Menschen treffen möchte, die in meinem Leben entscheidend waren, sondern weil ich glaube, dass ich Köln und seiner Universität viel zurückgeben muss. 

Mein Dank an die Universität, ihre Studierenden, Alumni, ihre Professoren, ehemaligen Professoren, Assistenten, ihre Beamten und ganz allgemein an die Bürgerinnen und Bürger von Köln, Bonn und Siegburg ist unermesslich. 

Wenn ich etwas Positives für meine Familie, mein Land und die Guatemalteken erreicht habe, dann zu einem großen Teil Dank der Ausbildung, die mir die Universität zu Köln und die WiSo gegeben haben. Ich bin unendlich dankbar.

Wenn ich etwas Positives für meine Familie, mein Land und die Guatemalteken erreicht habe, dann zu einem großen Teil Dank der Ausbildung, die mir die Universität zu Köln und die WiSo gegeben haben. Ich bin unendlich dankbar.

Mariano Rayo

Was sind Ihre drei Tipps für unsere Studierenden? Und haben Sie vielleicht einen bestimmten Tipp für internationale Studierende?

Hören Sie nie auf zu träumen, aber erwarten Sie nicht, dass diese Träume wahr werden, sondern arbeiten Sie daran, bemühen Sie sich und geben Sie mehr, als von Ihnen verlangt oder erwartet wird.

Haben Sie keine Angst davor, Fehler zu machen oder falsche Entscheidungen zu treffen – nur Übung macht den Meister. Das Leben ist kein Bett aus Rosenblättern, sondern ein Weg voller Dornen. 

Genießen Sie Ihr Leben, haben Sie eine gute Zeit, nutzen Sie Chancen und hören Sie nie auf, es zu versuchen.

Zu ausländischen Studierenden sage ich nur eines: Yes, you can!

Könnten Sie zum Abschluss den folgenden Satz vervollständigen: Denke ich an meine Studienzeit in Köln zurück, denke ich… 

… an Kölsch, Karneval, den 1. FC Köln, unvergessliche Freunde, die Familie in Siegburg und an die kölsche Seele.

Lieber Herr Rayo, ich bedanke mich für Ihre Zeit und für das Interview.