„Es gibt kaum eine Branche mit einer so hohen Innovationsrate wie die Spieleindustrie“
Als Teil der Forschungsinitiative zum Thema „Digital Transformation and Value Creation“ erforscht Professor André Marchand unter anderem das Marketing von digitalen Spielen. Forscher*innen unterschiedlicher Disziplinen, etwa aus den Bereichen Marketing, Wirtschaftsinformatik, Psychologie und Volkswirtschaft beschäftigen sich im Rahmen dieser Initiative mit wichtigen Aspekten der Auswirkungen der digitalen Transformation auf Wirtschaft und Gesellschaft. Wir haben André Marchand zur Gamescom interviewt, der weltweit größten Messe für interaktive Unterhaltung.
Herr Professor Marchand, Sie forschen unter anderem zum Thema digitale Spiele und sind gerade auch bei der diesjährigen Gamescom in Köln vor Ort. Welche neuen Trends beobachten Sie?
Es gab vor wenigen Jahren einen Trend zu mobilen Spielen und zu sogenannten Browser-Games. Das waren viele Spiele, die mit relativ kleinem Budget produziert wurden und sich überwiegend durch Werbung finanzierten. Dieser Trend scheint sich derzeit umzukehren, im Vordergrund stehen wieder weniger Spiele, die dafür mit großem Budget produziert und vermarket werden. Die Produktionskosten im Bereich mehrerer hundert Millionen Euro übersteigen teilweise die von teuren Spielfilmen und auch die Einspielergebnisse liegen bei den großen Game-Hits sogar im Milliardenbereich. Das finde ich sehr beeindruckend für eine Branche, die vor 20 Jahren noch in einer Nische operiert hat. Die weltweiten Umsätze der Spielebranche betragen mittlerweile über 100 Milliarden US-Dollar. Zudem sind die Spieler nicht mehr alle männlich und unter 18 Jahren, sondern heute im Mittel 35 Jahre alt und zu einem Drittel weiblich. Die Zielgruppen diversifizieren sich derzeit immer weiter, das merkt man auch am Messepublikum, zu dem in den letzten Jahren auch zunehmend mehr Frauen gehören.
Was war für Sie als Forscher besonders spannend?
Besonders spannend war es für mich, mit Managern aus der Spieleindustrie zu sprechen. Bei diesen Gesprächen kann man überprüfen, ob das, was Wissenschaftler im Marketing erforschen, für die Manager relevant ist und welche Themen Manager derzeit besonders herausfordern. Manager von digitalen Spielen zu sein ist kein einfacher Job, wenn man beispielsweise bedenkt, dass sich die Produktionszyklen für ein Spiel mittlerweile auf bis zu fünf Jahren erstrecken. Wenn man also heute die Produktion eines zukünftigen Blockbuster-Spiels startet, stellt sich unter anderem die Frage, ob zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die aktuelle Konsolengeneration (Sony PS4/Pro, Microsoft Xbox One S/X und Nintendo Switch) noch aktuell ist und wie hoch die Zahl potenzieller Kunden sein wird, die eine passende Konsole besitzen.
Die Zielgruppen diversifizieren sich derzeit immer weiter, das merkt man auch am Messepublikum, zu dem in den letzten Jahren auch zunehmend mehr Frauen gehören.
Was fasziniert Sie am Thema Videospiele?
Die hohe Dynamik. Es gibt kaum eine Branche mit einer so hohen Innovationsrate wie die Spieleindustrie. Ich habe den Messebesuch auch genutzt, um neue Virtual-Reality-Anwendungen auszuprobieren und war beeindruckt über den derzeitigen Stand der Technik. Ob sich Virtual Reality bei einer großen Masse jedoch durchsetzen wird oder ob es eher eine sogenannte „Augmented Reality“ wird, bei der man sein physisches Umfeld im Gegensatz zu Virtual Reality noch wahrnimmt, ist eine der noch unbeantworteten Zukunftsfragen der Branche.
Spielen Sie privat selbst auch Videospiele?
Selbstverständlich. Ich finde, man kann eine Industrie nur richtig verstehen und erforschen, wenn man sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen tatsächlich auseinandersetzt. Allerdings muss ich einräumen, dass ich als Universitätsprofessor und Vater von zwei Kindern derzeit nicht viel Zeit für digitale Spiele habe. Trotzdem teste ich die wichtigsten Spiele zumindest für ein paar Minuten kurz an, um einen Eindruck von ihnen zu erhalten.
Gibt es beim Thema Games-Marketing Besonderheiten, die beachtet werden müssen?
Games sind digitale Produkte und somit sind ihre Konsumentinnen und Konsumenten schon lange mit der digitalen Welt bestens vertraut. Diese Kundengruppe hat dementsprechend wenig Verständnis, wenn ein Spielehersteller nur per Post und Fax, nicht aber in sozialen Medien digital und live erreichbar ist. Darüber hinaus sehen wir bei Games digitale Innovationen oft als erstes, bevor sie von anderen Branchen adaptiert werden.
Welche neuen Entwicklungen im Games-Marketing-Bereich oder in der Games-Branche allgemein erwarten Sie?
Das gemeinsame Spielen mit anderen Menschen über das Internet wird durch den Breitbandausbau zunehmend relevanter. Ich erwarte zudem eine verstärkte Konzentration auf wenige große Spiele-Hits, zumindest im nächsten Jahr. Danach könnte eine andere Innovation kommen, die diesen Trend verändert und einen neuen Boom auslöst. Es bleibt also sowohl für die Unternehmenspraxis als auch für die Wissenschaft eine sehr spannende Branche.
Vielen Dank für das Interview, Herr Professor Marchand.
(Die Fragen stellte Sarah Brender)