Jeder kennt es, man ist krank, ab zum Arzt. Ob Krankenhausärzt:innen, niedergelassene Fachärzt:innen oder Hausärzt:innen, wir gehen davon aus, dass Ärzt:innen immer unser Bestes zum Ziel haben und uns dementsprechend behandeln und beraten, und dass sie dabei die eigenen Gewinnmöglichkeiten in den Hintergrund stellen. Altruismus spielt mithin eine Schlüsselrolle für das berufsethische Verhalten von Ärzt:innen. Eine neue Studie von WiSo-Professor Daniel Wiesen und Kolleg:innen untersucht nun die Bildung von patientenbezogenem Altruismus bei werdenden Ärzt:innen in Deutschland.
Wie altruistisch sind Medizinstudent:innen? Wie entwickelt sich patientenbezogener Altruismus während der medizinischen Ausbildung? Wie hängt der patientenbezogene Altruismus von Medizinstudent:innen mit ihren individuellen Eigenschaften oder Einkommenserwartungen ab? Inwiefern hängt der patientenbezogene Altruismus mit der beabsichtigten Wahl des Fachgebiets zusammen? Diesen Fragen sind WiSo-Professor Daniel Wiesen (Department of Business Administration and Health Care Management, WiSo Fakultät der Universität zu Köln) und seine Kolleg:innen von der UniKlinik Köln, der London School of Economics, der Erasmus Universität Rotterdam, und den Universitäten Rennes und Bonn nachgegangen. Die Forschungsarbeit mit dem Titel „The formation of physician altruism” wurde kürzlich im Journal of Health Economics veröffentlicht.
Zu Beginn des Studiums ist der patient:innenbezogene Altruismus der werdenden Mediziner:innen laut der Forschungsarbeit am höchsten und nimmt während des Studiums signifikant ab. Im letzten Studienjahr, in dem die Student:innen in der klinischen Praxis arbeiten, steigt die altruistische Motivation tendenziell wieder, erreicht aber nicht mehr das Niveau zu Studienbeginn.
An der Studie nahmen von April 2017 bis Dezember 2020 insgesamt 733 Medizinstudierende der Universität zu Köln teil, verteilt über vier Gruppen: Freshmen (befragt in der 1. Woche des Studiums), vorklinisches Studium, klinisches Studium und praktisches Jahr. Somit erstrecken sich die Beobachtungen der Studie über die wichtigsten Phasen der sechs Jahre andauernden medizinischen Ausbildung in Deutschland. Die veröffentlichte Studie ist Teil eines Panelprojekts mit Medizinstudent:innen, die im Laufe ihres Studiums viermal an Längsschnittuntersuchgen teilnehmen. Die Medizinstudent:innen wurden im experimentellen Versuchsaufbau in 30 Szenarien mit je zwei Behandlungsoptionen konfrontiert, bei denen sie zwischen dem eigenen finanziellen Gewinn und dem gesundheitlichen Nutzen für eine:n Patient:in abwägen mussten.
Insgesamt zeigt sich den Wissenschaftler:innen, dass Medizinstudent:innen „[…] eine hohe Aversion gegen vorteilhafte Ungleichheit aufweisen“. Die angehenden Ärzt:innen scheinen demnach eine Behandlung, die ihnen einen höheren Gewinn als den gesundheitlichen Nutzen für den/die Patient:in bringt, eher abzulehnen. Darüber hinaus zeigt sich, das Altruismus mit den persönlichen Eigenschaften der Student:innen korreliert ist. Beispielsweise gehen allgemeine soziale Präferenzen konform mit dem patientenbezogenen Altruismus. Spannender Fakt hierbei ist, dass insbesondere Medizinstudentinnen, die einen höheren Wert für allgemeinen Altruismus zeigen, auch den gesundheitlichen Nutzen für Patient:innen deutlich stärker gewichten als ihren eigenen Gewinn. Überdies erwarten grundsätzlich weniger gewinnorientierte Medizinstudent:innen auch ein geringeres Einkommen, wenn sie in Zukunft als Ärzt:innen praktizieren.
Im Bezug auf die angestrebte Spezialisierungswahl zeigt die Studie interessante Zusammenhänge mit dem patientenbezogenen Altruismus der Medizinstudent:innen. Diejenigen Studierenden, die den Nutzen für die Gesundheit des Patienten/der Patientin vergleichsweise höher gewichten, geben mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit an, später die Fachbereiche Pädiatrie und Chirurgie zu wählen.
Insgesamt liefern die Studienergebnisse sehr interessante Einblicke für die aktuelle Gesundheitspolitik, die sich der großen Herausforderung vom wachsenden Fachkräfte- und Ärzt:innenmangel gegenübersieht. Die Ergebnisse können demnach insbesondere „in die laufende politische Debatte über die Trends und Determinanten des Ärzt:innenmangels einfließen und zeigen die Wichtigkeit der Auswahlkriterien bei der Zulassung und der Ausbildung zukünftiger Ärzt:innen“, schließen die Forscher:innen um Daniel Wiesen.