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Öffentlichkeit, Kommunikation und die „Tyrannei der Mehrheit“

Studie von CCCP-Forscher Jan Sauermann

Jan Sauermann

Die Tyrannei der Mehrheit ist eines der am häufigsten diskutierten Probleme der Demokratie in der politischen Theorie. Sie entsteht, wenn Mehrheiten fest und dauerhaft gewonnen werden und die Fähigkeit der Mehrheit, die Minderheit zu beherrschen, nicht eingeschränkt wird.

Kommunikationsprozesse spielen eine entscheidende Rolle für das Zustandekommen oder der Verhinderung derartiger Mehrheitsherrschaften. In einem Laborexperiment konnte nun WiSo-Forscher Jan Sauerman (Cologne Center for Comparative Politics) zeigen, dass es insbesondere darauf ankommt, ob die Akteure öffentlich oder im privaten Raum kommunizieren.

Aus theoretischer Perspektive kann Kommunikation unterschiedliche Effekte haben. Einerseits fördert Kommunikation Mehrheitskoalitionen, weil sie die für die Bildung und Aufrechterhaltung von Zusammenschlüssen einzelner Personen notwendige Koordination ermöglicht. Dieser Effekt sollte vor allem im Falle privater Kommunikation zum Tragen kommen.. Andererseits stärkt Kommunikation möglicherweise aber auch prosoziale Orientierungen in Gruppen und kann so den dauerhaften Ausschluss von Minderheiten durch die Mehrheit verhindern. Es wird vermutet, dass dieser Effekt in öffentlichen Diskussionen dominiert.

Jan Sauermann testete seine theoretischen Überlegungen in einer Reihe von Laborexperimenten, in denen fünfköpfige Komitees Verteilungsentscheidungen mit Hilfe des Abstimmungsmechanismus "Abstimmung durch Veto" treffen mussten. Der Entscheidungsprozess besteht dabei aus zwei Stufen: Zunächst macht (zusätzlich zum bestehenden Status Quo) jedes Gruppenmitglied einen Vorschlag über die Verteilung der Auszahlungen. In der zweiten Stufe eliminieren die Gruppenmitglieder nacheinander eine Alternative. Nachdem alle Gruppenmitglieder abgestimmt haben, verbleibt eine einzelne siegreiche Alternative.

Im Ergebnis zeigte sich, dass Gruppen, die die Möglichkeit hatten, in einem für alle Gruppenmitglieder öffentlichen Chat zu kommunizieren, die Auszahlungen gleichmäßiger verteilten, als Gruppen, die untereinander nicht kommunizieren konnten. Hatten die Gruppenmitglieder jedoch die Möglichkeit, andere Gruppenmitglieder in einem privaten Chat von der Diskussion auszuschließen, bildeten sich mehrheitliche Koalitionen von drei Gruppenmitgliedern, die die anderen beiden Gruppenmitgliedern von der Verteilung der Vorteile ausschlossen.

Auch wenn die Öffentlichkeit bei politischen Entscheidungsverfahren nicht unter allen Umständen wünschenswert sei (z.B. im Falle des Wahlgeheimnis), hätten die Ergebnisse jedoch gezeigt, so Jan Sauermann, „dass öffentliche Beratungen die Prosozialität bei Gruppenentscheidungen fördern, während private Diskussionen mehrheitliche Ergebnisse begünstigen.“ Darüber hinaus habe sich gezeigt, dass in öffentlichen Gesprächen inklusive und faire Argumente vorherrschen, während Gruppenmitglieder vorwiegend exklusive und egoistische Argumente äußerten, wenn sie die Möglichkeit hatten, andere Ausschussmitglieder vom Gespräch auszuschließen.

Die Studie ist in „Social Choice and Welfare erschienen:

• Sauermann, Jan (2020): „The effects of communication on the occurrence of the tyranny of the majority under voting by veto“, Social Choice and Welfare 

[https://doi.org/10.1007/s00355-020-01268-w]