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Gruppengröße und Demonstrationsbereitschaft hängen zusammen

Neue Studie von WiSo-Professor Christopher Roth.

Portrait von WiSo-Professor Christopher Roth

Die erwartete Anzahl von Teilnehmer:innen einer Kundgebung ist ausschlaggebend für die eigene Bereitschaft, sich an politisch linkem oder rechtem Protest zu beteiligen. Gegendemonstrationen hingegen motivieren Demonstrierende nicht, intensiver zu protestieren. Das zeigt die aktuelle Studie eines interdisziplinären Teams aus Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern um Professor Christopher Roth, PhD, Professor für Economics und Management an der WiSo-Fakultät der Universität zu Köln. Die Forscher widerlegen damit das weitverbreitete Bild sich gegenseitig anstachelnder Gruppierungen.

Wann immer Gruppierungen wie „Querdenker“, „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) oder Anhänger:innen der Alternative für Deutschland (AfD) eine Demonstration anmelden, kündigt sich rasch ebenfalls eine Gegendemonstration an. WiSo-Professor Christopher Roth hat gemeinsam mit Anselm Hager, Johannes Hermle und Lukas Hensel in diesem Zusammenhang die Wechselwirkung zwischen Kundgebung und Gegenkundgebung in den Blick genommen: Anhand zweier von der AfD angemeldeter Demonstrationen und entsprechender Gegendemonstrationen untersuchten sie, wie sich Demonstrierende als Reaktion auf unterschiedlich hohe Teilnahmezahlen der eigenen sowie der „gegnerischen“ Veranstaltung verhielten.

Politikwissenschaftler:innen gingen bisher meist davon aus, dass die Demonstrationsbereitschaft einer Gruppe – unabhängig von der politischen Orientierung – immer steigt, wenn die Anzahl der Gegendemonstranten zunimmt und analog sinkt, wenn ohnehin schon viele aus der eigenen Gruppe demonstrieren. Die Ergebnisse der Wissenschaftler um Professor Roth können diese Annahme nicht bestätigen, sondern zeigen, dass sich die Demonstrationsbereitschaft in links stehenden und rechts stehenden Gruppen unterscheidet. „Menschen reagieren je nach politischem Lager unterschiedlich“, formuliert Christopher Roth und stellt klar: „Die eigene Bereitschaft zu demonstrieren hängt dabei jedoch nicht davon ab, wie viele Menschen der Gegenseite auf die Straße ziehen.“

Grundlage der Untersuchung waren zwei Kundgebungen im Mai 2018 und 2019 mit 30.000, beziehungsweise 5.000 Demonstrierenden. Um mehr über die Teilnahmebereitschaft der Menschen herauszufinden, rekrutierten die Wissenschaftler mittels Werbeanzeigen auf Facebook anhand der politischen Orientierung und des Wohnortes insgesamt 1.464 Studienteilnehmende. Sie konfrontierten die Befragten mit unterschiedlich hohen Prognosen zur Teilnahmezahl der eigenen sowie der Gegendemonstration, um anschließend die Demonstrationsbereitschaft abzufragen.

Die Ergebnisse: Bei den politisch linken Aktivist:innen stieg die Bereitschaft zur Teilnahme an der Demonstration um 5,8 Prozentpunkte, wenn sie mit einer hohen Teilnahmezahl in der eigenen Gruppe rechneten. Für rechte Aktivist:innen sank die Wahrscheinlichkeit bei einer größeren Anzahl Demonstrierender um 6,1 Prozentpunkte. Sie gehen den Ergebnissen zufolge also eher auf die Straße, wenn sie mit wenigen Teilnehmenden aus dem eigenen „Lager“ rechnen.

„Die Ergebnisse helfen dabei zu verstehen, wie auch Randgruppen systematisch Macht erlangen können“, streicht Christopher Roth einen Impact der Studie heraus. Dass geringe erwartete Teilnehmerzahlen Anhänger:innen rechter Gruppen eher zu einer Teilnahme anspornen, erkläre etwa, warum Randgruppen wie Pegida nie ganz aussterben würden.

Ein weiterer Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse könne darin liegen, dass die eher dem linken Spektrum zuzuordnenden Aktivist:innen besser untereinander vernetzt seien und die Veranstaltung eher genießen. Demnach könnten auch soziale Motive und der „Spaßfaktor“ eine Rolle bei der eigenen Demonstrationsbereitschaft spielen. Wie viele Menschen an der Gegendemonstration teilnehmen, spielte für beide Gruppen keine Rolle.

Die Studie erscheint demnächst im renommierten Journal American Political Science Review und ist Teil einer Reihe von Publikationen von Christopher Roth und seinem Team zur strategischen Interaktion im politischen Aktivismus.