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Gehirndoping: Verführung für Eltern?

#wisoidea - ISS-Forscher Sebastian Sattler zum Missbrauch von ADHS-Medikamenten bei gesunden Kindern.

Mädchen nimmt Tablette

Foto: Ermolaev Alexander/ Shutterstock.com

Die meisten Eltern sind bereit, für ihre Kinder einiges auf sich zu nehmen. Doch wie weit gehen Eltern tatsächlich für den Erfolg ihrer Sprösslinge? Einige sicher „zu weit“, möchte man mit Blick auf eine aktuelle Studie sagen. Gemeinsam haben WiSo-Forscher Dr. Sebastian Sattler (Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS)) und sein Kollege Philipp Linden (Universität Siegen) untersucht, was Eltern dazu bringt, gesunden Kindern verschreibungspflichtige Medikamente mit Wirkstoffen wie Methylphenidat zu geben, um deren schulische und außerschulische Leistungen zu steigern.

Dazu untersuchten Dr. Sattler und Kollege Linden Faktoren, die Eltern dazu bewegen oder davon abhalten, die geistigen Leistungen von gesunden Kindern durch Medikamente zu steigern.

Während Methylphenidat eigentlich zur Behandlung von Krankheiten wie ADHS (Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätsstörung) verschrieben wird, legen Studien nahe, dass auch gesunde Menschen von solchen Medikamenten profitieren können und ihre geistige Leistungsfähigkeit steigern können. Die Forschungslage zur Wirkung bei gesunden Kindern ist jedoch begrenzt. Inwiefern Eltern bereit sind, Kindern trotzdem solche Medikamente zu verabreichen, ist kaum erforscht.

Mittels Onlineexperiment baten Sebastian Sattler und Phillip Linden knapp 1400 US-amerikanische Elternteile schulpflichtiger Kinder sich eine fiktive Situation vorzustellen, in der ein anderes zwölfjähriges gesundes Kind hofft, einen Buchstabierwettbewerb zu gewinnen. Solche Wettbewerbe sind insbesondere in den USA unter Schüler:innen sehr populär und können zu hohen Preisgeldern führen. Unter anderem variierten die Forscher experimentell die Beschreibung der Situation und die Informationen, sodass in manchen Situationen ein hohes und in anderen ein niedriges Preisgeld versprochen wurde. Auch Informationen zu den Medikamenten wurden variiert, so etwa die Wahrscheinlichkeit und Stärke möglicher Nebenwirkungen. Da jedes Elternteil vier verschiedene Situation bewertete, konnten die Forscher knapp 5500 Antworten auswerten.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Eltern solche Medikamente bei Kindern kategorisch ablehnt. In 40% der Situationen gab es aber mindestens eine geringe Bereitschaft mit Hilfe von Medikamenten zu versuchen den Wettbewerb und das Preisgeld zu gewinnen. Manche Eltern waren sogar in hohem Maße bereit, Kindern Medikamente zu geben, um zu gewinnen.

Die Hemmschwelle Medikamente zu befürworten war besonders niedrig, wenn das Preisgeld hoch war, wenn Nebenwirkungen weniger wahrscheinlich oder weniger schwer waren – aber auch wenn sie für die Medikamente nur wenig bezahlen müssten.

Während mithin „Eigenschaften“ der Situation einen Einfluss hatten, so konnten die Forscher zeigen, dass auch Eltern mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften eher Medikamente verabreichen würden. Machiavellistisch orientierte Menschen, deren Verhalten unter anderem von manipulativem Denken, einem starken Eigeninteresse und einer geringen Bindung an Moralvorstellungen geprägt ist, waren nicht nur generell eher bereit, Kindern Medikamente zu geben, um den Wettbewerb zu gewinnen, sie reagierten auch stärker auf finanzielle Anreize – also das Preisgeld. Drohende Nebenwirkungen schreckten sie jedoch stärker ab. Zudem zeigten die Forscher, dass insbesondere Eltern, die bereits solche Medikamente in der Vergangenheit selbst genutzt hatten (immerhin etwa 15%) oder ihren Kindern solche Medikamente gegeben hatten (knapp 7%), eher bereit waren dem Kind in der Situation ein Medikament zu verabreichen. Frauen und ältere Befragte waren weniger bereit dazu.

Für Sebastian Sattler und Phillip Linden geben die Ergebnisse durchaus Grund zur Besorgnis. „Eine Minderheit der Eltern scheint zunehmend intensive Elternschaft zu betreiben, begleitet von einer wettbewerbsorientierten Denkweise und getrieben von dem Wunsch, die Zukunftschancen ihrer Kinder zu optimieren sowie die Norm der altersentsprechenden Entwicklungsleistungen zu übertreffen", heißt es etwa in ihrer Studie. Kinder stellten eine für den hieraus resultierenden Missbrauch äußerst anfällige Gruppe dar. „Ich fand dieses Thema besonders interessant, weil die Untersuchung der Eltern und Ihrer zugrunde liegenden Entscheidungsfindung sich nicht auf ihren eigenen Medikamentenkonsum, bezieht, sondern auf die Entscheidungen, die sie für ihre Kinder treffen“, erläutert Sebastian Sattler.

Auch wenn es zukünftig breiter angelegter Studien bedürfe, enthalten die nun vorliegenden Ergebnisse einige Implikationen, denn Kinder sollten geschützt werden, um kreativ und ohne übermäßigen Leistungsdruck aufwachsen zu können. So sollten Ärztinnen und Ärzte auf die möglichen gesundheitlichen Risiken solcher medizinisch nicht nötigen Medikamenteneinnahmen hinweisen. Gesundheitsbehörden sollten zudem ein stärkeres moralisches Verständnis vermitteln, da eine solche Medikamenteneinnahme zu unfairen Vorteilen führen könne.

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