Rund sechs Monate nach der ersten Corona-Impfung in Deutschland ist die nationale Impfpriorisierung aufgehoben. Dennoch bleibt das Thema „Impfungen“ umstritten. Viele Fragen sind noch offen: Wie soll angesichts großer Verunsicherung die notwendige Impfquote erreicht werden, die eine „Herdenimmunität“ sicherstellt? Sind Lockerungen der Anti-Corona-Maßnahmen für Geimpfte ungerecht oder mindestens juristisch opportun? Antworten bleiben schwierig. Angesichts der rasanten Entwicklungen sind trotz täglich aktualisierter Statistiken von R- bis Inzidenzwerten fundierte sozialwissenschaftliche Zahlen, die dabei helfen können, noch selten.
Einen Beitrag leisten können Daniel Seddig, Dina Maskileyson, und Eldad Davidov vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln (ISS) mit großzügiger Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung. Gemeinsam mit ihren Kollegen Peter Schmidt (Universität Gießen) und Icek Ajzen (University of Massachusetts Amherst) haben sie in der zweiten Aprilhälfte 2021 online 5044 Bürger:innen im Alter von 18 bis 74 Jahren in Deutschland befragt. Ein Zwischenbericht zur Studie „Die Impfbereitschaft in der COVID-19-Pandemie: Wertepräferenzen, institutionelles Vertrauen und geplantes Verhalten“ liefert weitere Einzelheiten.
19,4 % der Befragten hatten zum Zeitpunkt der Befragung (zwischen dem 09. und 28. April 2021) mindestens eine Impfung gegen das Coronavirus erhalten. In der Gruppe der über 60-jährigen war die Impfquote mit 29,6 % am höchsten. Auch bei der Impfbereitschaft lagen sie vorn. 70,1 % von ihnen signalisierten eine erhöhte Impfbereitschaft (anhand einer siebenstufigen Skala). Bei den 30- bis 59-Jährigen waren es 58,1 Prozent. Von den Jüngeren zeigte mit 52,3 % nur noch eine relativ knappe Mehrheit eine hohe Bereitschaft, sich impfen zu lassen.
Großen Einfluss auf die Impfbereitschaft hat erwartungsgemäß die grundsätzliche Einstellung gegenüber einer Impfung, die laut der Befragungsergebnisse stark vom sozialen Umfeld der Befragten beeinflusst wird. Je stärker Personen mit einer Impfung positive Konsequenzen und einen Nutzen verknüpfen, desto höher ist ihre Intention, sich impfen zu lassen. Zudem gaben 62,7 % an, dass sie glauben, ihre engsten Bezugspersonen fänden es „sehr gut“, wenn sie sich impfen ließen. 54,5 % schätzten sogar, dass Personen in ihrem sozialen Umfeld „erwarten“ würden, dass sie sich impfen lassen.
Das Bedrohungsgefühl durch das Virus und die Angst vor einer Covid-19-Erkrankung war in allen Altersgruppen weit verbreitet. Insgesamt fühlt sich etwa die Hälfte der Befragten - im ältesten Drittel deutlich mehr – durch das Coronavirus bedroht und wer sich bedroht fühlt, ist offenbar eher bereit, sich impfen zu lassen. Laut Untersuchungsleiter Daniel Seddig korrelierten die Belastungserfahrungen durch COVID-19 „moderat“ mit der Impfbereitschaft.
Anreize in Form der Befreiung von Einschränkungen durch Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung für Geimpfte würden besonders bei den unter 30-jährigen die Impfbereitschaft erhöhen. Die stärksten Impfanreize dabei waren „In den Urlaub fahren“, „Bar-, Cafe- und Restaurantbesuche“ sowie die Möglichkeit, Sportstätten, etwa Fitnessstudios zu besuchen. Der Besuch kultureller Veranstaltungen wie Konzerten, Theatern oder Museen übt dagegen ebenso wie der Besuch von Sportveranstaltungen, Shoppingtouren, Club- und Diskothekenbesuchen eine weitaus geringere Anziehungskraft aus.
Hinsichtlich des Vertrauens in die Impfstoffe haben offenbar die Diskussionen der letzten Monate Spuren hinterlassen. Beim Vertrauen nach Herstellern ergibt sich eine klare Führung für Biontech/Pfizer (73,1 %) vor Moderna (62,8 %). Nur knapp ein Drittel (31,6 %) vertraut Johnson und Johnson, während das Vertrauen in den Impfstoff von AstraZeneca noch deutlicher erschüttert scheint. Nur 25,8 Prozent haben Vertrauen in Vaxzevria, dem Impfstoff von AstraZeneca. Die Priorisierung der Impfstoffhersteller und ihrer Produkte spiegelt sich dann auch nahezu in der Bereitschaft, sich mit einem dieser Impfstoffe impfen zu lassen.
Sehr unterschiedlich bewerteten die Befragten zudem die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Bemerkenswerte 53,1 % der Befragten befanden im April, dass diese noch „zu lasch“ seien. Immerhin 22,7 % hielten sie für „zu streng“. Regeln, wie das Tragen von Gesichtsschutzmasken, Hygieneempfehlungen und Reisebeschränkungen, wurden von der großen Mehrheit der Befragten mehr oder weniger streng eingehalten. Etwas weniger streng an die Regeln hielt sich insgesamt die Gruppe der unter 30-jährigen, insbesondere bei den Kontaktbeschränkungen und der sozialen Distanzierung.
Vertrauen untersuchten die WiSo-Wissenschaftler:innen allerdings nicht nur bezogen auf die möglichen Impfstoffe. 41,4 % der Befragten etwa teilten die Ansicht, die bisherigen angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stünden im Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit. 42,7 % stimmten allerdings auch der Aussage zu, sie dienten dem „Interesse der Machthaber“. Ein ähnlich geteiltes Bild zeigt sich beim Vertrauen in die politischen Institutionen. Vertrauten die Befragten der örtlichen Verwaltung immerhin noch zu 40,3 % und der eigenen Landesregierung zu 38,1 % waren es gegenüber „den Politikern“ allgemein nur noch 22,3 %.
Auch gegenüber den öffentlich-rechtlichen Medien überwog das Misstrauen. Gut ein Fünftel der Befragten verorteten sich selbst sogar in der niedrigsten Antwortkategorie „gar kein Vertrauen“. Wissenschaftliche Institutionen, Ärzte eingeschlossen, können sich dagegen guter Vertrauenswerte erfreuen. „Der Wissenschaft“ vertrauten insgesamt gut zwei Drittel (66,3 %), Ärzten und Medizinern gar 73,4 %. Auch das RKI (Robert Koch Institut) genießt das Vertrauen einer großen Mehrheit (60,6 %).
Insgesamt geht ein hohes Misstrauen in die politischen Institutionen mit einem verstärkten Glauben an Verschwörungsannahmen einher. Allerdings stimmten nur sehr wenige Befragte Verschwörungsannahmen bezüglich COVID-19 zu. Die höchste Zustimmung erreichte hier noch die Aussage „COVID-19 ist eine Biowaffe, die von China entwickelt wurde, um den Westen zu zerstören“ (11,2 %). Allgemeinere Verschwörungsannahmen erreichen dagegen höhere Zustimmungswerte, etwa „Ereignisse, die auf den ersten Blick nicht miteinander in Verbindung zu stehen scheinen, sind oft das Ergebnis geheimer Aktivitäten“ (30,9 %) oder „Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“ (39,2 %). Der Glaube an solche Verschwörungsszenarien kann auch mit einer geringeren Impfbereitschaft einhergehen.
Die Studie ist bis 2022 angelegt und wird durch die Fritz Thyssen Stiftung gefördert.