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Professor Achim Truger im Interview

Foto: Bettina Engel-Albustin / ©UDE

„Mit den schon ergriffenen Maßnahmen ist die deutsche Wirtschaft grundsätzlich gut aufgestellt.“

Unser Alumnus Prof. Dr. Achim Truger (VWL) ist Professor für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen. Am 1. März 2019 wurde er durch die Bundesregierung auf Vorschlag der Gewerkschaften in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen.
Wir sprachen mit Achim Truger über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise, über seine Arbeit als Wirtschaftsweiser und über seine Studienzeit an der WiSo-Fakultät. Darüber hinaus gibt er unseren Studierenden wertvolle Tipps.


Lieber Herr Professor Truger, durch die Corona-Krise haben sich in kürzester Zeit die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prioritäten geändert. In einem speziellen Gutachten haben Sie sich mit Ihren Kollegen aus dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit der Corona-Krise und ihren Auswirkungen befasst. Was empfehlen Sie der Regierung um den sozioökonomischen Schaden einzugrenzen?

Als erste Reaktion müssen in einer solchen Situation erstens alle notwendigen Ressourcen für das Gesundheitswesen mobilisiert und zweitens muss verhindert werden, dass die gesundheitspolitisch notwendigen Einschränkungen, das Wegbrechen von internationalen Lieferketten und von Exportnachfrage zu einer sich selbstverstärkenden tiefen Wirtschaftskrise führen.
Die Liquidität von Banken und Unternehmen muss gesichert, Einkommen gestützt und durch Kurzarbeit die Beschäftigung stabilisiert werden.

Es bleibt noch einiges zu tun: Lücken bei den bisherigen Programmen müssen identifiziert werden, z.B. könnte eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes notwendig sein. Die Kommunen bedürfen dringend einer besonderen Unterstützung

Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Regierung?

Die Bundesregierung – ebenso wie übrigens viele Landesregierungen – hat in sehr kurzer Zeit ein beeindruckendes Maßnahmenpaket zur Überbrückung der Krise und zur Linderung ihrer wirtschaftlichen Folgen auf die Beine gestellt. Das ist schon einmal sehr viel.

Aber es bleibt noch einiges zu tun: Lücken bei den bisherigen Programmen müssen identifiziert werden, z.B. könnte eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes notwendig sein. Die Kommunen bedürfen dringend einer besonderen Unterstützung.
Bislang gibt es auch noch kein Konjunkturprogramm für die Erholung unmittelbar nach der Corona-Krise sowie ein Krisenmanagement und Solidarität auf der europäischen Ebene. Die Unternehmungen sind bei weitem zu schwach ausgeprägt.

Ein ehrgeiziges Konjunkturpaket, am besten gleich verbunden mit dem Green Deal, also der Dekarbonisierung, wird auch auf europäischer Ebene unerlässlich sein.

Sind wir, Ihrer Meinung nach, für die Zeit nach der Corona-Krise gut vorbereitet? Welche Maßnahmen sind für die Erholung der europäischen Wirtschaft erforderlich?

Mit den schon ergriffenen Maßnahmen ist die deutsche Wirtschaft grundsätzlich gut aufgestellt.

Aufgrund der Unsicherheit und der Einkommensverluste bedarf es aber eines kräftigen konjunkturellen Anschubs, etwa durch einen Kinderbonus oder eine temporäre Senkung der Umsatzsteuer zur Ankurbelung des privaten Konsums und temporäre Abschreibungsvergünstigungen für die Investitionstätigkeit sowie eine Fortführung der öffentlichen Investitionsoffensive.
Ein ehrgeiziges Konjunkturpaket, am besten gleich verbunden mit dem Green Deal, also der Dekarbonisierung, wird auch auf europäischer Ebene unerlässlich sein.

Es ist toll zu sehen, wie alle an einem Strang ziehen und total kreativ mit der Lage umgehen.

Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag, als Universitäts-Professor und Wirtschaftsweiser, in der aktuellen Situation verändert?

Es ist schon eine sehr besondere, aufregende Situation.

Viele Anfragen, das Sondergutachten des Rates und das alles abgestimmt per Videokonferenz. Und die Umgestaltung der Lehre in Richtung E-Learning kommt hinzu. Das Ganze dann noch in der Aufbauphase unseres Sozioökonomie-Masterprogramms in Duisburg-Essen, da gibt es einiges zu tun.
Es ist aber auch toll zu sehen, wie alle an einem Strang ziehen und total kreativ mit der Lage umgehen.

Was war bisher Ihr interessantester Beratungsfall als Wirtschafsweiser?

Wir haben ja normalerweise keine konkreten Beratungsfälle, sondern beschäftigen uns in einem Jahresgutachten mit der Konjunktur und sehr vielen Aspekten der Wirtschaftspolitik. Dass dann innerhalb meines ersten Jahres gleich zwei Sondergutachten, eins zur Klimapolitik im letzten Sommer und nun noch eins zur Corona-Krise dazukommen, war schon besonders spannend.

Hatten Sie bereits zu Ihrer Studienzeit den Wunsch, nach Ihrem Abschluss als Wissenschaftler zu arbeiten?

Ja, ganz klar, ich war im Studium sehr schnell und auch erfolgreich, und es war mein Traum, einmal Professor zu werden. Da ich nicht aus einer Akademikerfamilie stamme, war mir allerdings der Weg dahin ziemlich unklar und besondere Unterstützung erfuhr ich kaum.

Aufschlussreich waren für mich auch immer wieder die Fehlprognosen vieler Professoren, z.B. bezüglich der Deutschen Einheit und des Europäischen Währungssystems. Das hat mir verdeutlicht, auf welch unsicherem Grund sich die VWL häufig bewegt und wie wichtig eine kritische Denkweise ist.

Wenn Sie an Ihre Studienzeit zurückdenken: Gibt es Situationen, die Sie besonders geprägt haben?

Nach einem ehrlich gesagt ziemlich furchtbaren Massengrundstudium – wir passten zur Auftaktveranstaltung gar nicht alle in die Aula – fand ich die akademische Freiheit im Hauptstudium toll. Eigentlich hätte ich gerne ewig weiterstudiert: VWL, aber auch Statistik, Philosophie, Fremdsprachen, ich war unglaublich wissbegierig.

Aufschlussreich waren für mich auch immer wieder die Fehlprognosen vieler Professoren, z.B. bezüglich der Deutschen Einheit und des Europäischen Währungssystems. Das hat mir verdeutlicht, auf welch unsicherem Grund sich die VWL häufig bewegt und wie wichtig eine kritische Denkweise ist.

Ich möchte die Studierenden ermutigen über den Tellerrand zu schauen, kritisch zu denken und eine plurale Perspektive einzunehmen. Es gibt mehr als Wirtschaft und Geld. Das ist auch für die Zukunft unserer Demokratie von zentraler Bedeutung.

Was würden Sie unseren Studierenden gerne mit auf den Weg geben? Was sind Ihre drei Tipps?

Mit konkreten Tipps tue ich mich etwas schwer, die Bedingungen heute sind ungleich schwieriger als zu meiner Zeit. Wir hatten so viele Freiheiten; erst in der Blockprüfung am Ende des Studiums wurde es wieder richtig ernst. Heute, nach der Bologna-Reform, werden die Studierenden ständig geprüft, das Ganze ist viel verschulter.

Ich möchte die Studierenden dennoch ermutigen über den Tellerrand zu schauen, kritisch zu denken und eine plurale Perspektive einzunehmen. Es gibt mehr als Wirtschaft und Geld. Das ist auch für die Zukunft unserer Demokratie von zentraler Bedeutung.

 

Interview: Ayla Wisselinck