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Wie der Kohleausstieg auf die Frequenzstabilität wirkt

Weil die konventionelle Stromerzeugung zurückgeht – zum Beispiel durch den Kohleausstieg - ist die Stabilität der Stromnetze ohne Gegenmaßnahmen künftig nicht mehr uneingeschränkt gesichert. Das und was man dagegen tun könnte, zeigen Wissenschaftler*innen des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) und des Beratungsunternehmens ef.Ruhr in einer Studie.

 

Der Kohleausstieg hat viele Wirkungen – unter anderem auf die Strompreise, den CO2-Ausstoß und den Strommix in Deutschland. Und es gibt weitere Folgen, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen: Der Kohleausstieg beeinflusst auch die Stabilität der Stromnetze. Denn die Trägheit der konventionellen Kraftwerksgeneratoren sorgt mit dafür, dass die Netzfrequenz von 50 Hertz gehalten wird: Wenn ein Kraftwerk ausfällt, dämpft die aus der Trägheit resultierende Momentanreserve die Frequenzabweichung, die entsteht, wenn sich durch den Ausfall ein Leistungsungleichgewicht zwischen Erzeugung und Last einstellt. Dies verschafft der Primärregelleistung Zeit zur Aktivierung, um das Leistungsungleichgewicht wieder ausgleichen zu können. Damit werden kritische Netzzustände vermieden, die im schlimmsten Fall zu Stromausfällen führen könnten.

Ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) hat nun gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen ef.Ruhr GmbH untersucht, wie sich der Kohleausstieg in Deutschland auf die Momentanreserve im Energieversorgungssystem auswirkt. Die im Auftrag der Siemens AG erstellten Studie zeigt: Um die Frequenzstabilität des Energieversorgungssystems auch im Jahr 2040 zu gewährleisten, sind die dann noch aktiven konventionellen Kraftwerke nicht ausreichend, und es müssen aktiv Maßnahmen zur Steigerung der Momentanreserve bzw. Frequenzstabilisierung getroffen werden.

Zwei Fälle in jeweils zwei Szenarien untersucht

Mit Hilfe des EWI-eigenen Modells DIMENSION für den europäischen Strommarkt haben die Autor*innen Dr. Eglantine Künle, Philipp Theile und Dr. Christian Wagner die Kraftwerksparks für das Jahr 2040 in zwei Szenarien optimiert. Beide Szenarien bilden den von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ („Kohlekommission“) beschlossenen deutschen Kohleausstieg ab. Im zweiten Szenario nutzen außerdem die europäischen Länder mit einem derzeit hohen Anteil konventioneller Stromerzeugung künftig mehr erneuerbare Energien.
Die Autor*innen betrachteten zwei Fälle: einen normativen Ausfall – also einen Ausfall von 3 GW Kraftwerksleistung – und einen System-Split-Fall – also einen Zerfall des Europäischen Verbundsystems in mehrere Netzinseln. Ein solcher System-Split-Fall war im Jahr 2006 schon einmal eingetreten.

Das Ergebnis der Analyse: Mehr Strom aus erneuerbaren Energien und weniger Strom aus konventionellen (Kohle-)Kraftwerken senkt die Momentanreserve. Im Szenariojahr 2040 würde laut den Berechnungen von EWI und ef.Ruhr im Fall eines normativen Ausfalls das zulässige Frequenzminimum im Europäischen Verbundbetrieb unterschritten. Im System-Split-Fall würde der Frequenzgradient kritisch ansteigen. Beides verursacht kritische Systemzustände, die es für eine sichere und unterbrechungsfreie Stromversorgung unbedingt zu vermeiden gilt.

Zur Lösung schlagen die Autor*innen vor, die Frequenzstabilität durch konkrete Maßnahmen zu sichern: Die Erhöhung der Momentanreserve beispielsweise durch entsprechende Umrichter von erneuerbaren Energieanlagen wäre eine Möglichkeit. Eine weitere Möglichkeit ist eine schnellere Frequenzregelung. Die Primärregelleistung könnte hierzu beschleunigt werden, oder es könnte eine zusätzliche schnellere Form der Primärregelung, die „Fast Frequency Response“, etabliert werden. Diese könnte sowohl von konventionellen Kraftwerken, aber beispielsweise auch von Windkraftanlagen, Batteriespeichern, Schwungrädern oder auch von leistungselektronischen Bauteilen wie Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs (HGÜ)-Verbindungen erbracht werden.