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Deutschland: Immer reicher, immer ungleicher

Heute vorgestellte ECONtribute-Studie zeigt historische Vermögensverteilung in Deutschland.

von Links nach rechts: Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Thomas Piketty, Professor an der Paris School of Economics, Professor Dr. Moritz Schularick (ECONtribute / Universität Bonn) und Sarah Ryglewski, parlamentarische Staatssekretärin im BMF.

Die reichsten 50 Prozent der Deutschen haben ihr Vermögen seit der Wiedervereinigung verdoppelt – die ärmsten 50 Prozent haben praktisch nichts hinzugewonnen. Das zeigt die neue Studie „Die Verteilung der Vermögen in Deutschland von 1895 bis 2018“ des Exzellenzclusters ECONtribute der Universitäten Bonn und Köln. Sie bildet die erste umfassende Analyse von langfristiger Vermögensungleichheit in Deutschland. Grundlage für die Ergebnisse sind historische Steuerdaten, Studien und Umfragen sowie Reichen-Rankings der letzten 125 Jahre. Der Vizekanzler und Bundesminister für Finanzen Olaf Scholz nahm die Studie heute in Berlin entgegen.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander: Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Exzellenzclusters ECONtribute: Markets & Public Policy rund um ein Forschungsteam des Bonner Ökonomen Prof. Dr. Moritz Schularick. Seit der Wiedervereinigung wurde die obere Mittelschicht deutlich reicher – während die Armen weiter arm blieben. Seit 1993 konnten die reichsten 50 Prozent der Deutschen ihr Realvermögen verdoppeln, im Gegensatz dazu gewannen die ärmsten 50 Prozent jedoch fast nichts an Vermögen hinzu. Der Anteil der unteren 50 Prozent der Deutschen am Gesamtvermögen hat sich seit 1993 sogar fast halbiert.

Vor allem der Aktien- und Immobilienboom haben zu dieser Entwicklung geführt: Denn wer ein Haus, eine Wohnung oder andere Vermögenswerte besitzt – und vorher bereits genügend Vermögen auf der Seite hatte, um sich solches zu leisten – konnte im vergangenen Jahrzehnt von den gestiegenen Preisen profitieren. An den Haushalten der unteren Vermögensverteilung ist die Entwicklung nahezu vorbeigegangen.

Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty Professor an der Paris School of Economics kommentierte die Studie in Berlin: „Es wird deutlich, dass die Wohlstandsunterschiede nach wie vor extrem hoch sind und seit den 1990er Jahren zugenommen haben. Der begrenzte Zugang zu Eigentum und wirtschaftlicher Teilhabe der unteren Bevölkerungshälfte sowie die große Konzentration von Reichtum und wirtschaftlicher Macht an der Spitze sollten Deutschland und Europa insgesamt Sorgen bereiten.“

Das Auseinanderklaffen von Reich und Arm stützen weitere Zahlen: Während 1993 die oberen zehn Prozent der Haushalte im Mittel noch 50 Mal reicher waren als die unteren 50 Prozent, verdoppelte sich auch diese Zahl bis 2018.
„Für eine kluge und durchdachte Politik ist eine solide Bestandsaufnahme unabdingbar“, lobte Bun-desfinanzminister Olaf Scholz die Studie am Donnerstag. „Mit der ersten umfassenden Langzeitstudie zur Entwicklung der Vermögensungleichheit in Deutschland leisten Moritz Schularick und seine Ko-Autoren einen wichtigen Beitrag zur wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Debatte. Sozialer Zusam-menhalt kann nur gelingen, wenn alle am Wachstum und Erfolg unserer Gesellschaft teilhaben.“
Aktuelle Statistiken bewerten zudem das Gesamtvermögen der deutschen Haushalte zu niedrig. Insbesondere die vielen Kapitalgesellschaften sowie Quasi-Kapitalgesellschaften werden in Deutschland statistisch viel zu gering eingeschätzt. „Wenn man internationale Bewertungsmethoden anlegt, dann sehen wir, dass das deutsche Betriebsvermögen 2018 rund vier Billionen Euro und das Immobilienvermögen mehr als neun Billionen Euro betrug. Damit wurde das deutsche Betriebsvermögen um bis zu zwei Billionen Euro zu niedrig bewertet“, erläutert Studienautor Schularick die Ergebnisse.

Die Studie ist im Rahmen von ECONtribute entstanden, dem einzigen wirtschaftswissenschaftlichen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Exzellenzcluster – getragen von den Universitäten in Bonn und Köln. Der Cluster forscht zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.


Über ECONtribute: Markets & Public Policy
„ECONtribute: Markets & Public Policy“ ist bundesweit der einzige wirtschaftswissenschaftliche DFG-Exzellenzcluster. Er wird von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Universität zu Köln getragen. Der Cluster forscht zu Märkten im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ziel von ECONtribute ist es, Märkte besser zu verstehen und eine grundlegend neue Herangehensweise für die Analyse von Marktversagen zu finden, die den sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der heutigen Zeit, wie zunehmender Ungleichheit und politischer Polarisierung oder globalen Finanzkrisen, gerecht wird.

Vor diesem Hintergrund entwickelt ECONtribute einen neuen umfassenden und innovativen Ansatz, der gesellschaftliche Ziele über ökonomische Effizienz hinaus und neue Möglichkeiten der Politikge-staltung mit einbezieht. Der Cluster verfolgt einen interdisziplinären Ansatz: neben der Volkswirt-schaftslehre sind auch benachbarte Disziplinen wie Recht, Psychologie, Neurowissenschaften und die Betriebswirtschaftslehre beteiligt. ECONtribute bildet so einen international führenden Forschungs-standort für wirtschaftswissenschaftliche Forschung im Bereich Public Policy.